Lesedauer: 6 Minuten
SRF Kultur: Ein High-End-Konzertsaal in einer ehemaligen Industriehalle – wie haben Sie das hingekriegt?
Karlheinz Müller: «High End» stand anfangs gar nicht im Mittelpunkt. Ziel war es lediglich, eine Ersatzspielstätte für ein paar Jahre zu haben – eine, die man gut nutzen kann, die aber nicht immer die höchsten akustischen Ansprüche erfüllen sollte.
Im Laufe der Zeit stiegen die Ansprüche. Die Musizierenden sollten vor, während und auch nach dem Umzug ähnliche Bedingungen haben. So hatten wir während des Umbaus eine Aufgabenänderung: Akustisch sollte die Tonhalle Maag dem Grossen Tonhallesaal ähneln. Dies ist jedoch nicht ganz einfach zu erreichen, denn jeder Saal hat seine persönliche Akustik.
Wie klang denn der Tonhallesaal, der jetzt renoviert wird?
Der Tonhallesaal ist seit jeher berühmt für seine Akustik. Dies beruht darauf, dass sein Raumklang sehr lebendig ist.
Viele modernere Säle sind klanglich leiser und in der Dynamik, also in der Abstufung der Lautstärken, etwas eingeschränkter. Sie leben oft vom präzisen Direktschall und weniger vom harmonischen Gesamtklang des Saales.
Der Tonhallesaal hingegen ist ein akustischer Draufgänger. Da kann ein Orchester mit kleinen wie mit ganz grossen Besetzungen musikalisch richtig loslegen. Die einzige Einschränkung: Bei extremen Lautstärken kann es auch mal zu laut werden.
Sie sprachen vom lebendigen Raumklang der alten Tonhalle. Wie entsteht diese Lebendigkeit?
Es beginnt schon mit der Saalgrösse: Die Dimensionen – über 1400 kompakt platzierte Plätze – und die Proportionen des Raumes sind nicht übertrieben gross. Sie stehen in einem sehr guten Verhältnis zur Grösse des Podiums und damit zu den Musizierenden.
Ein weiterer Vorteil sind die vielen unterschiedlichen Baumaterialien: Ziegel und Natursteine, verputzte Flächen mit viel Stuckatur, grosse Holzflächen, Deckengemälde mit üppigen Dekors. Dieser Mix führt dazu, dass der Klang im gesamten Frequenzbereich sehr diffus wird. Der Effekt: Die Töne mischen sich gerne und langweilen sich nicht.
Der alte Tonhallesaal ist ein akustischer Draufgänger.
Wie erreichen Sie den ähnlichen Klang nun in der Tonhalle Maag?
Die Architektursprache von heute hat generell wenig Dekor und arbeitet oft mit grossen, glatten Flächen. Diese sind aber akustisch eher ungünstig: Der Klang im Raum wird dadurch gross und glatt, fast unsympathisch.
Auch der Saal im Maag hat eine rechteckige Grundform. Aber wir haben bei allen Wand- und Deckenflächen möglichst viele rechte Winkel aufgelöst.
Dies sehen Sie sowohl im Wandbereich und ganz offensichtlich im Deckenbereich mit seinen 70 Deckenpaneelen. Diese können einzeln ausgerichtet werden. Über der Bühne sind sie sogar gewölbt, um den Klang noch optimaler zu streuen.
Diese Deckenpaneele in der Tonhalle Maag sind im Grunde nichts anderes als das Dekor der alten Säle. Sie haben akustisch eine ähnliche Wirkung wie zum Beispiel die barocken Rundungen von Engelchen und Putten.
Neben der Lebendigkeit des Klangs soll sicherlich auch die Nachhallzeit des Maag-Provisoriums derjenigen des Tonhallesaals ähneln.
Ja, sie betrug im leeren grossen Tonhallesaal im mittleren Frequenzbereich über 2.5 Sekunden. In der kleineren Tonhalle Maag ist sie etwas kürzer, nämlich 2.2 Sekunden.
Diese Nachhallzeit könnten wir in der Tonhalle Maag bei Bedarf verlängern: Wir haben zusätzlich ein elektronisches Raumakustik-System eingebaut. Damit können wir den Klang aufnehmen und mit etwas mehr Hall versehen – für den Fall, dass der Raum einmal zu bedämpft sein sollte.
Die Kritik zum Eröffnungskonzert
Der Neustart ist gelungen: Das Provisorium im Maag-Areal ist hip gestaltet und die Akustik des Saals ähnelt (vom Balkon aus gehört) tatsächlich derjenigen des altehrwürdigen Tonhallesaals, so wie es von Akustiker Karlheinz Müller geplant war. Beide Säle schmeicheln dem Klang, ohne ihn zu verwischen, und sie geben ihm die Möglichkeit aufzublühen. Neben einem zeitgenössischen Bratschenkonzert des diesjährigen «Creative Chair» Brett Dean stand – wie so oft bei Eröffnungen – Beethovens 9. Sinfonie auf dem Programm. Chefdirigent Lionel Bringuier dirigierte solide, seiner Interpretation fehlte allerdings noch die persönliche Note und die Stringenz. Die Musizierenden des Orchesters hingegen bewiesen mit ihrem warmen Klang, ihrer technischen Präzision und ihrem dringenden Ausdruckswillen einmal mehr, dass sie zu den Top-Orchestern weltweit gehören. |
Sehen Sie hier das Konzert vom 30.9. in voller Länge. |
Die Deckenpaneelen haben akustisch eine ähnliche Wirkung wie die barocken Rundungen von Engelchen und Putten.
Inwiefern haben sich die Erwartungen des Publikums an die Akustik eines Saals in den letzten Jahrzehnten verändert?
Das hängt mit dem Musikkonsum über Tonträger zusammen. Die Schellack-Platten der 1960er- und 1970er-Jahre brachten die tiefen Töne kaum zur Geltung – sie vermittelten ein helleres Klangbild.
Dementsprechend sind etwa die Avery Fisher Hall in New York oder der Konzertsaal des Londoner Barbican Centres im tiefen Frequenzbereich relativ schwach. Dieses Klangbild war eben damals in Mode, als sie gebaut wurden.
Die späteren Schallplatten und CDs gaben die Frequenzen von ganz tief bis ganz hoch viel umfassender wieder. Deshalb erwartet das Publikum in Konzertsälen seither ein Klangbild, das den gesamten Klangbereich viel breiter abbildet.
Könnte man denn in diesem Saal auch ein Death-Metal-Konzert veranstalten? Anders gefragt, müssen sich die umliegenden Bühnen im Zürcher Kreis 5 Sorgen machen, dass jetzt ihre Rockmusiker lieber in der Tonhalle Maag spielen würden?
Nein, die müssen sich keine Sorgen machen. Der Saal ist auf klassische Musik ohne jegliche elektro-akustische Verstärkung ausgelegt.
Für Metal-Konzerte braucht man einen akustisch stark bedämpften Raum: Der Klang wird mit elektro-akustischen Mitteln aufbereitet, gemischt und dann kräftig verstärkt, bevor er beim Publikum ankommt. Der Maag-Saal mit seiner eigenen, lebendigen Akustik wäre da eher störend.
Das Gespräch führte Moritz Weber.