Kaum jemand verwendet heute noch einen 8mm-Projektor, um Filme anzuschauen. Die Chancen, den monoton ratternden Klang der drehenden Filmrolle zu hören, stehen heute fast gleich schlecht, wie Harrison Ford auf der Strasse zu begegnen. Ähnlich sieht es mit den hämmernden Tippgeräuschen der Schreibmaschine aus oder dem dumpfen Aufschlagen des Bibliotheksstempels.
Handy-Tippgeräusche sind bereits eine Seltenheit
Viele Geräusche sind zum Sterben verdammt. In erster Linie, weil die Geräte, die sie erzeugen, obsolet werden. Es verändern sich aber auch Formen und Materialien von Alltagsgegenständen – und damit auch ihr Klang. Telefone gibt es immer noch. Doch das Ziehen und Zurückschleifen einer Telefon-Wählscheibe ist schon lange nicht mehr Teil unseres Geräusch-Alltags. Selbst das leise Klicken des Tippens auf der Handytastatur ist bereits zur Seltenheit geworden – wegen Smartphones und Touchscreens.
Geräusche verstummen. Sie verschwinden leise, wie seltene Tier- und Pflanzenarten. Doch in keiner Stadt steht heute ein «geräuschhistorisches Klangmuseum». Das wollen die beiden Kommunikationsdesigner Jan Derksen und Daniel Chun ändern. Mit der Internetseite «Conserve the sound» haben sie ein Onlinearchiv für Geräusche und typische Klänge vergangener Zeiten geschaffen. «Man sammelt ja auch Gemälde und Gegenstände. Mit Geräuschen ist das bis jetzt nicht geschehen, obwohl sie genauso zum allgemeinen Kulturgut gehören», begründet Jan Derksen sein Projekt, das 2013 den deutschen Kulturförderpreis 2013 erhielt.
Alles nur «Nostalgia porn»?
Ungefähr 130 Geräusche kann man bei «Conserve the sound» anhören. Die Klänge sind nach Jahrzehnt oder Typ sortiert. Dazu gibt es Bilder und Informationen zu Baujahr und Hersteller des Geräts. Gestartet haben Derksen und Chun ihr Projekt bereits Ende 2011. Sie gingen in Museen und suchten in den Kellern und auf den Dachböden von Freunden und Bekannten nach alten Gegenständen und Geräten, die sie dann aufzeichneten und abfotografierten. Mittlerweile bekommen die beiden viele Vorschläge über die Website – die User sind aufgefordert, vom Aussterben bedrohte Geräusche selbst hochzuladen.
Klickt man sich durch das Archiv, werden sofort Erinnerungen wach. Schreibmaschinen, alte Spielkonsolen, Plattenspieler – plötzlich wähnt man sich eher in der eigenen Vergangenheit, als bei einem kulturhistorischen Webprojekt. Ist das nun dokumentarische Arbeit oder doch nur «Nostalgia porn», der mit dem Wecken von Emotionen auf die Aufmerksamkeit der User abzielt?
Derksen ist sich dem Problem bewusst: «Wir sehen uns in erster Linie als Dokumentaristen. Natürlich merken wir, dass bei den Menschen eine grosse Nostalgie geweckt wird. Einige Leute hatten sogar Tränen in den Augen, als sie das alte Geräusch einer Schreibmaschine gehört hatten. Die Seite ist eine Mischung aus Wissenschaft, kulturellem Erhalt und Nostalgie.»
Beliebt bei Sounddesignern und Lehrern
Die Konservierung von Geräuschen als blosse Nostalgie abzutun, wäre übereilt – viele können von solchen Archiven profitieren. Die 20-jährige Sounddesignerin etwa, die für einen Film das Geräusch eines Dritte-Klasse-Eisenbahnwaggons mit Dampflokomotive produzieren muss. Oder Lehrer, die ihren Geschichtsunterricht hörbar machen wollen. Ein weiteres Anwendungsfeld sieht Derksen in der Arbeit mit Demenzkranken. «Dort wird die auditive Ebene noch kaum eingesetzt. Wir haben nun bereits einige Tests mit Audiospielen und Sound-Memories gemacht. Das wird ganz gut angenommen.»
Was man bei «Conserve the sound» vergeblich sucht, sind alte Handy-Klingeltöne, Computerspiele-Sounds, Melodien von alten Fernsehserien oder TV-Werbungen – alles mediale Klänge, die zweifellos zum auditiven Kulturgut vergangener Zeiten gehören. Auch sie müssten bewahrt werden. Urheberrechte machen ein solches Vorhaben aber zum komplizierten Prozess. Doch hier gibt es dank fleissiger User-Mithilfe und einer rechtlichen Grauzone eine Alternative: Bei Youtube findet man fast alles, was je an medialen Klängen produziert wurde.