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50 Jahre Gay Pride «Stonewall machte mich zum Kämpfer für meine Rechte»

Im Juni 1969 wehrten sich New Yorker Homosexuelle erstmals gegen Schikanen der Polizei. Seither hat sich viel getan.

New York, 28. Juni 1969, 1:20 Uhr: In der Christopher Street im Greenwich Village gibt es vor und in der Schwulen-Kneipe «Stonewall Inn» wüste Szenen. Zum ersten Mal überhaupt wehren sich Schwule, Lesben und Transvestiten gegen die ständigen Razzien der Polizei.

Sie haben genug von der Willkür. Sie wollen endlich auch etwas vom Aufbruch der 1960er-Jahre spüren. Bis dahin hatten die Flower-Power-Jahre nur der heterosexuellen Bevölkerungs-Mehrheit neue Freiheiten gebracht. Aber von dieser Nacht an sollte alles besser werden. Der Stonewall-Aufstand war da.

junge Männer auf der Christopher Street im Jahr 1969
Legende: Am 28. Juni 1969 begannen vor dem «Stonewall Inn» die Unruhen in der New Yorker Christopher Street. Getty / New York Daily News Archive

Inbegriff der Befreiung von Schwulen und Lesben

Auch in den folgenden Nächten gab es immer wieder Krawalle in der Christopher Street. Bereits Ende Juli 1969 organisierten Lesben und Schwule den ersten «Gay March» vom Washington Square zum «Stonewall Inn». Der «Christopher Street Day» CSD war geboren – auch wenn er damals noch nicht so hiess.

Aber die Christopher Street und der Name der «Stonewall»-Bar wurden mit der Zeit zum Inbegriff der Befreiung von Schwulen und Lesben. Der Tag wird auch als der D-Day der Gay-Bewegung bezeichnet.

Die Bar «Stonewall Inn» in New York
Legende: Das «Stonewall Inn» in New York existiert immer noch. Aus seiner Bedeutung für die Schwulenbewegung macht es keinen Hehl. Keystone

Marc Rubin hat die Stonewall-Unruhen als 37-Jähriger erlebt. Der Lehrer und Schwulen-Aktivist half damals mit, die «Gay Liberation Front» auf die Beine zu stellen – die erste Organisation die dazu bereit war, in offener Konfrontation für die Befreiung von Schwulen und Lesben einzutreten.

«Stonewall hat gezeigt, dass wir unterdrückte Menschen waren und das Recht hatten, darauf zu reagieren», sagte Marc Rubin im Schweizer Fernsehen aus Anlass des 25-Jahr-Jubiläums der Stonewall-Aufstände 1994. «Stonewall machte mich zu einem Kämpfer für meine Rechte.»

Stonewall habe ihm gezeigt, dass er Teil einer grossen Familie sei. «Nach Stonewall wusste ich, dass mein Kind möglicherweise wissen würde, dass ich schwul bin. Zuvor hätte ich nie an so etwas gedacht. Stonewall hat die Welt geschaffen, in der wir heute leben», sagte Rubin.

In den USA wurde schon im ersten Jahr nach den Stonewall-Ereignissen eine verhältnismässig grosse Gedenkveranstaltung durchgeführt. 1970 versammelten sich im West Village 4000 Menschen.

140'000 Urteile gegen Schwule

In Europa dauerte es bis in die späten 1970er-Jahre bis es die ersten Gay-Demos gab. Der erste CSD in Deutschland fand 1979 in Berlin statt. Deutsche Schwule und Lesben verlangten vor allem die Abschaffung von Paragraph 175 des Strafgesetzbuches. Dieser Paragraph existierte in verschiedenen Fassungen von 1872 bis 1994. Er bestrafte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts und «widernatürliche Unzucht mit Tieren».

Schätzungsweise 140'000 Männer wurden in dieser Zeit verurteilt. Am härtesten waren die Strafen unter der Herrschaft der Nationalsozialisten ab 1935. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in der BRD die verschärfte Fassung der Nazis noch viele Jahre beibehalten. In der DDR wurden gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen ab Ende der 1950er-Jahre nicht mehr bestraft. Erst nach der Wiedervereinigung wurde der Paragraph 175 für ganz Deutschland aufgehoben.

Im Jahr 2001 war Klaus Wowereit schliesslich der erste deutsche Spitzenpolitiker, der seine Homosexualität öffentlich machte.

Diese Worte machten ihn zu einer Ikone der Schwulenbewegung und darüber hinaus auf der ganzen Welt sehr bekannt.

Klaus Wowereit: «Es ist richtig, dass man auf die Strasse geht.»

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Klaus Wowereit im Interview mit Hans Ineichen
Legende: Daniel Sander, Schwules Museum

Kurz vor seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister von Berlin im Jahr 2001 machte Klaus Wowereit seine Homosexualität publik. Auf dem Landesparteitag sagte der damalige Fraktionschef der SPD Berlin: «Ich bin schwul und das ist auch gut so.»

Auch heute noch hält es der 65-Jährige für wichtig, dass Minderheiten ihre Rechte einfordern.

SRF News: Zur Zeit der Stonewall-Unruhen im Sommer 1969 waren Sie knapp 16 Jahre alt. War Ihnen damals schon bewusst, dass Sie schwul sind?

Klaus Wowereit: Das war mir bewusst, und ich habe auch damals schon schwule Kontakte gehabt. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, ob die Vorkommnise in New York zu der damaligen Zeit hier überhaupt publik gemacht wurden. Mir fehlt da die Erinnerung.

Warum haben Sie sich 2001 für Ihr öffentliches Coming-out entschieden, nachdem Sie vorher darauf verzichtet hatten?

Ich war der Auffassung, dass das eigentlich Privatsache sein sollte. Bis zu jenem Moment wurde das auch von der Presse akzeptiert. Ich war Fraktionsvorsitzender, bin mit meinem Partner an öffentliche Veranstaltungen gegangen, ins Theater, in die Oper. Also wer sehen wollte, dass ich schwul bin, konnte das sehen. Aber damals war das tabu, auch für die Presse. Dann stand ich nach der Abwahl meines Vorgängers vor der möglichen Bildung einer Regierung mit der Partei «Die Linke», also der Nachfolgepartei der DDR-Staatspartei SED, später PDS, und das war in Berlin doch ein sehr emotionales Thema. Ich wusste, dass meine eigentlich private Angelegenheit sicherlich öffentlich geworden wäre, also ging ich in die Öffentlichkeit und habe es gesagt.

In den letzten Jahren ist in Sachen Gleichstellung von Schwulen und Lesben sehr viel passiert. Muss die Gay-Szene heute überhaupt noch für etwas kämpfen?

Machen wir uns nichts vor. Ein Gesetz kann sich verändern, es kann die Ehe eingeführt werden, usw. Aber wie eine Gesellschaft sich verhält, ob sie die innere Liberalität lebt, ob sie nicht nur toleriert, sondern akzeptiert – das ist ein Unterschied. Und da ist noch viel zu tun, wie wir etwa auch am «Schwulen Überfalltelefon» hier in Berlin sehen. Nichts ist für ewig und viele Dinge, die erreicht worden sind, werden von rechts-konservativ-populistischen Kreisen weltweit wieder in Frage gestellt. Deshalb ist es richtig, dass man auf die Strasse geht, dass man demonstriert, dass man die Rechte einfordert – nicht nur für sich, sondern für alle Menschen in unserer Gesellschaft.

Die Entwicklung in der Schweiz verlief anders. Schon 1942 wurde die Strafbarkeit von sexuellen Handlungen unter erwachsenen Männern abgeschafft. Für Frauen gab es nie eine Strafrechtsbestimmung, was aber nicht heisst, dass die lesbische Liebe je akzeptiert gewesen wäre.

In der Nachkriegszeit spielte die Zeitschrift «Der Kreis» eine wichtige Rolle – nicht nur für Schwule und Lesben in der Schweiz, sondern international. Sie baute auf einem Zürcher Lesezirkel auf, der schon in den frühen 1930er-Jahren gegründet worden war.

Kostümfest der Zeitschrift «Der Kreis»
Legende: Die Kostümfeste der Zeitschrift «Der Kreis» in Zürich (hier: Herbstfest 1955) waren legendär und hatten Publikum über die Schweiz hinaus. Schweizerisches Sozialarchiv. F 5004-Fx-572

«Der Kreis» führte die Emanzipationsbestrebungen aus der Zeit der Weimarer Republik weiter, welche von den Nationalsozialisten zerschlagen worden waren. Gleichzeitig war er «Vorbild für die sich in vielen Ländern nach 1945 neu formierende Homosexuellenbewegung», wie Karl-Heinz Steinle im Buch «100 Jahre Schwulenbewegung» (1997) schreibt.

Erster Schweizer CSD im Jahr 1979

Die Emanzipationsbewegung in der Weimarer Republik basierte im Wesentlichen auf den Aktivitäten des Mediziners Magnus Hirschfeld und seinem 1897 gegründeten «Wissenschaftlich-Humanitären Komitee».

Die erste CSD-Veranstaltung in der Schweiz fand 1979 in Bern statt, weitere 1980 in Basel, 1981 in Lausanne, 1982 in Zürich, 1983 in Luzern und ab dann quasi jährlich in einer anderen Stadt.

Demonstranten mit Banner «Männer lieben Männer»
Legende: Am 23. Juni 1979 fand der erste Nationale Schwulen-Befreiungstag in Bern statt. Keystone

An diesen Veranstaltungen stand bis Ende der 1980er-Jahre die Forderung nach einem gleichen Schutzalter im Zentrum. Für gleichgeschlechtliche Handlungen galt das Mindestalter 20 Jahre, für verschiedengeschlechtliche 16 Jahre. Mit der Strafrechtsreform von Dezember 1990 wurde das unterschiedliche Schutzalter aufgehoben.

Die Lesben- und Schwulen-Bewegung verlegte sich danach auf die Forderung «gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare» und meinte damit vor allem die Gleichstellung im Familien- und Erbrecht. Seit 2007 gibt es das Partnerschaftsgesetz, das gleichgeschlechtliche Paare anerkennt. Aber nach wie vor dürfen solche Paare keine Kinder adoptieren und lesbische Paare sind von der Fortpflanzungsmedizin ausgeschlossen.

Im Moment wird die «Ehe für alle» diskutiert. Die Grünliberalen haben dazu eine Parlamentarische Initiative eingereicht. Die Kommissionen von National- und Ständerat haben sich dafür ausgesprochen. Gut möglich also, dass schliesslich das Volk darüber befinden wird.

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