Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen...
Worum geht es? Die Rapper Kollegah und Farid Bang haben den deutschen Musikpreis Echo gewonnen. Auf ihrem aktuellen Album findet sich im Song «0815» die Zeile «Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen». Bereits im Vorfeld ein Aufreger: Ist das noch provokativ oder bereits antisemitisch? Und wie weit geht künstlerische Freiheit? «Echo der Schande» titelt die deutsche Bild-Zeitung nach der Veranstaltung. Die Wogen gehen hoch.
Wie waren die Reaktionen im Vorfeld? Seit Wochen ist die zweifache Echo-Nominierung des Rapduos ein Thema: Das Internationale Auschwitz-Komitee und der Zentralrat der Juden hat die Nominierung scharf kritisiert. Kollegah verteidigte sich in einer Youtube-Botschaft: Er sei weder fremdenfeindlich noch antisemitisch.
Musiker Peter Maffay fand klare Worte: «Dass ausgerechnet am 12. April, dem Holocaust-Gedenktag in Israel, die Echo-Verleihung von dieser Nominierung überschattet wird, ist makaber und beschämend», hatte Peter Maffay gesagt. Als Reaktion beriefen die Echo-Verantwortlichen extra einen Ethik-Rat ein. Der liess die Nomination bestehen, verurteilte jedoch die Art der Sprache und die Aussagen.
Wie kam es zum Eklat? Campino, Frontmann der Toten Hosen, stellte auf der Bühne als Einziger die Frage, die viele im Vorfeld diskutiert hatten: Wo hört die künstlerische Freiheit auf, wo ist die Grenze? Als Sänger der Toten Hosen kenne er sich mit gezielter Provokation aus, sagte der sichtlich nervöse Punkrocker. Für ihn sei die Grenze jedoch überschritten, «wenn es um frauenverachtende, homophobe, rechtsextreme und antisemitische Beleidigungen geht». Diese Debatte sei wichtig und nötig. Für seinen Auftritt erntete er Standing Ovations.
Wir sollten nicht damit anfangen einen tieferen Sinn in Dingen zu suchen, wo es keinen tieferen Sinn gibt.
Wie reagierte das Rap-Duo? Während Campinos Rede zeigten sich beide demonstrativ uninteressiert, streckten ihre muskelgestählten Oberkörper. Als sie die Gelegenheit bekamen, zu reagieren, sagte Kollegah nur, er wolle keine Politik-Debatte drum machen. Als die beiden dann tatsächlich den Preis für «Hip Hop National» gewannen, schossen sie gegen Campino. Campino habe sich «als moralische Instanz aufgespielt», so Kollegah. Er hielt darauf unter lauten Buhrufen und Pfiffen ein mit Filzstift gekritzeltes Porträt von Campino mit Heiligenschein hoch, das er als Friedensangebot versteigern werde. Ein Angriff auf der persönlichen Ebene: Kollegah machte sich mit zitternden Händen über dessen Aufregung lustig.
Wer sind Kollegah und Farid Bang überhaupt? Farid Bang ist ein deutscher Rapper mit marokkanischen Wurzeln. Kollegah, mit bürgerlichem Namen Felix Blume, ist zum Islam konvertiert. Die zwei haben zusammen bereits eine Trilogie an Alben unter dem Titel «Jung, brutal, gutaussehend» herausgegeben. Allein ihr letztes Album wurde über 30 Millionen Mal gestreamt.
Was wird an ihren Texten kritisiert? Sie seien gewaltverherrlichend, sexistisch und homophob. Das Argument, dass das im Genre des Gangsta-Rap üblich ist, lässt SRF-Musikredaktor Moritz Weber nicht gelten: «Man muss sich schon fragen, ob dieses Argument ein Freischein ist, dass man einfach alles rausposaunen darf. Diese Musik hören sich ja auch viele junge Menschen an.»
Wieso bekommen solch umstrittene Künstler überhaupt einen Echo? Weil der Echo hauptsächlich eine Veranstaltung der Musikvermarkter ist: Die Verkaufszahlen bestimmen zu 50 Prozent über die Nominationen. Die anderen 50 Prozent beurteilt eine Jury. Laut SRF-Musikredaktor Moritz Weber sitzen aber hauptsächlich Agenturen und Labelvertreter in dieser Jury. Es wird also prämiert, wer ein grosses Publikum erreicht.
Dass das auf dem Rücken von Minderheiten, Frauen, Gewaltopfern und Religionsgemeinschaften geschieht, ist meiner Meinung nach doch ein arges Armutszeugnis.
Steckt beim Echo eine Strategie dahinter? «Die Verantwortlichen müssen gewusst haben, dass das alles grosse Wellen schlagen und es damit viel gratis Publicity geben würde», urteilt Moritz Weber. Diese Rechnung sei mit der Skandal-Publicity wohl aufgegangen. Mit solch einem Skandal könne man die Bekanntheit des Echos erhöhen. «Dass das allerdings auf dem Rücken von Minderheiten, Frauen, Gewaltopfern und Religionsgemeinschaften geschieht, ist meiner Meinung nach doch ein arges Armutszeugnis», sagt Moritz Weber.