Das Regionaljournal Aargau Solothurn hat sich beim Schweizer Presserat seit Ende 2014 immer wieder erkundigt, ob er eine Stellungnahme zur Berichterstattung über den Fall «Gerigate» abgeben würde. Die zentrale Frage dabei: Hat die Zeitung «Schweiz am Sonntag» zu Recht über den Fall berichtet? Oder hat sie die Privatsphäre des Politikers Geri Müller grob verletzt?
Anfang 2015 wurde Radio SRF von der Geschäftsführerin des Presserates beschieden, er werde den Fall nicht von sich aus aufgreifen. Es wäre aber gut, wenn, jemand eine Beschwerde machen würde, denn es gehe um wichtige berufsethische Fragen.
Die Beschwerde kam im Februar 2015. 18 National- und Ständeräte, darunter so bekannte wie Christoph Darbellay (Nationalrat, Präsident CVP Schweiz), Hans Altherr (Ständerat FDP, AR) und Claude Janiak (Ständerat, SP). Wortführer der Gruppe ist der grüne Nationalrat Louis Schelbert.
Der Anspruch von Geri Müller auf Privatsphäre sei krass verletzt worden, kritisierten die Beschwerdeführer. Sie wollten vom Presserat wissen, ob die Berichterstattung der Zeitung «Schweiz am Sonntag» gerechtfertigt gewesen sei.
Presserat wartet auf Gericht
Diese Frage wird bis auf Weiteres offen bleiben. Der Presserat hat Ende 2015 nämlich entschieden, dass er die Beschwerde der Bundesparlamentarier momentan nicht behandelt. Man wolle Doppelspurigkeiten vermeiden, begründet die Geschäftsführerin des Presserates, Ursina Wey, den Entscheid: «Der Entscheid ist sistiert, bis über die Parallelverfahren entschieden ist. Es sind ja noch gerichtliche Verfahren angekündigt. Darum wartet der Presserat.»
Hängig ist bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern eine Anzeige von Geri Müller gegen seine ehemalige Chat-Partnerin. Der Vorwurf: Diese habe ohne sein Wissen Gespräche mit ihm aufgezeichnet. Dadurch habe sie sich strafbar gemacht.
Die Anzeige wurde später auch auf den Chefredaktor der «Schweiz am Sonntag» ausgeweitet. Der Vorwurf hier: Patrik Müller habe eine Tonaufnahme, die auf strafbare Weise zustande gekommen sei, Dritten zugänglich gemacht.
Bei dieser Untersuchung läuft erst das Vorverfahren. Es kann noch lange dauern, bis das Verfahren eingestellt wird oder bis es zu einer Anklage kommt. Und noch sehr viel länger dauert es bei allen Rekursmöglichkeiten, bis dereinst ein rechtskräftiges Urteil vorliegen könnte.
Spannungen im Presserat
Auf einen Entscheid des Gerichts zu warten, das passte vielen Presserats-Mitgliedern nicht. Den Sistierungs-Entscheid fällte die aus sieben Mitgliedern bestehende 3. Kammer des Rates (deutschsprachige Kammer). Eine Minderheit zog den Entscheid weiter ans Plenum des Rates, bestehend aus 21 Mitgliedern. Doch auch hier hatte der Sistierungs-Entscheid Bestand.
Bis sich der Presserat zum Fall «Gerigate» äussern wird, dauert es also noch Jahre. Schon im September 2017 sind aber in Baden Wahlen. Es geht um die Gesamterneuerung des Stadtrates. Und damit um die politische Zukunft von Ammann Geri Müller. «Man kann davon ausgehen, dass ich wieder antrete», sagt Müller auf Anfrage des Regionaljournals Aargau Solothurn.
Im Wahlkampf wird die Affäre um die Nacktbilder sicher wieder zu einem grossen Thema. Ein Entscheid des Presserates hätte im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen können. Hätte er entschieden, dass die «Schweiz am Sonntag» die Privatsphäre von Geri Müller verletzt habe, wäre das sozusagen eine Absolution gewesen für den Politiker.
Hätte der Presserat aber entschieden, dass die Berichterstattung von öffentlichem Interesse gewesen sei, wäre das wohl das politische Todesurteil gewesen für Geri Müller.
Bedauern und Verständnis beim Experten
Es sei bedauerlich, dass der Presserat nun noch keinen Entscheid in der Sache «Gerigate» gefällt habe, sagt Vinzenz Wyss. Er ist Professor am Institut für Angewandte Medienwissenschaft und beschäftigt sich schwerpunktmässig mit Journalismusforschung. Es wäre nicht nur für die ganze Journalismusbranche, sondern auch für die Beteiligten – Geri Müller und die «Schweiz am Sonntag» – sicher nützlich gewesen, wenn der Presserat einen Entscheid gefällt hätte. Es hätte mehr Klarheit in diesen kontroversen Fall gebracht, führt Wyss im Interview mit dem SRF-Regionaljournal aus.
Vorwurf Amtsmissbauch stimmt nicht
Der Chefredaktor der «Schweiz am Sonntag», Patrik Müller, hatte am 17. August 2014 geschrieben, Geri Müller habe eine Beziehung gehabt zu einer Frau, und dieser habe er Nacktaufnahmen von sich geschickt. Die Aufnahmen seien im Stadthaus entstanden.
Die Zeitung erweckte den Eindruck, Geri Müller habe die Stadtpolizei instrumentalisiert. Diese habe Druck auf die Frau ausüben müssen, damit sie das Material nicht öffentlich machen würde. Hat Geri Müller sein Amt missbraucht?
Dieser Vorwurf löste sich schnell in Luft auf. Abklärungen des Kantons ergaben, dass die Polizisten nicht nach der Pfeife von Geri Müller getanzt hatten. Am Schluss bleibt die Geschichte eines Politikers, der aus seinem Büro schlüpfrige Bilder und Texte an eine Frau schickte. Privatsache oder strafbare Handlung, die von öffentlichem Interesse ist?