Die Häftlinge können als Schauspieler auf reale Erfahrungen zurückgreifen.
Beim Probenbesuch in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg zeigt sich schnell: Die Häftlinge, die im Theaterstück mitspielen, sind mit vollem Elan dabei. Sie haben fleissig viel Text auswendig gelernt und hören interessiert den Anweisungen von Regisseurin Annina Sonnenwald zu.
Neue Herausforderungen für Häftlinge
Die Regisseurin arbeitet mit ihren Laiendarstellern aus dem Gefängnis zum Beispiel an der richtigen Betonung von Aussagen und an den Emotionen, die vermittelt werden sollen. Dabei stellt sie fest, dass sich die Häftlinge zum Teil enorm stark mit ihrer Rolle identifizieren können.
Einige Häftlinge sind derart in ihre Rolle hineingewachsen, dass es jeweils sogar in den Pausen der Probe noch Diskussionen zwischen Verteidiger und Staatsanwalt gibt.
Die mitspielenden Häftlinge versuchen jeweils sofort die Anregungen der Regisseurin umzusetzen und geniessen das kreative Arbeiten am Stück: «Die Texte richtig zu betonen und die Emotionen reinzubringen, das ist schon sehr spannend», sagt einer der mitspielenden Häftlinge gegenüber dem Regionaljournal.
Neue Hirnwindungen ansprechen
Für die vier Häftlinge, die im Theaterstück mitspielen, bieten die Proben eine hochwillkommene Abwechslung zum Gefängnisalltag. Dafür sind sie auch bereit, während mehrerer Monate einen Teil ihrer Freizeit herzugeben, denn die Proben finden neben den regulären Gefängnisarbeiten statt. Diese müssen die Insassen auch während den Proben normal nachgehen.
Hier im Gefängnis ist sonst alles exakt vorgegeben, da verblödet man mit der Zeit.
Gegenüber dem Regionaljournal fasst einer der Häftlinge seine Motivation im Theaterstück mitzumachen einleuchtend zusammen: «Das Leben hier im Gefängnis ist kein Zuckerleben, wie es vielleicht manche Leute denken. Alles ist genau vorgeschrieben, das Duschen, das Essen, das Spazieren. Da verblödet man mit der Zeit.»
Auch der Gefängnisdirektor Marcel Ruf erkennt einen direkten Nutzen des Theaterspielens für die Häftlinge. Zwar sei Resozialisierung nicht das direkte Ziel des Theaters, trotzdem «man muss hier mit anderen Leuten in einem Projekt zusammenarbeiten, man kann mal wieder andere Hirnwindungen brauchen und am Schluss hat man ein Erfolgserlebnis». Das sei sicher eine sehr positive Erfahrung.
Angst vor Blamage
Trotz der willkommenen Abwechslung haben sich nur gerade 4 von den über 100 Insassen der JVA fürs Mitspielen im Theaterstück. Das hänge mit der Angst zusammen sich vor den anderen Insassen zu blamieren, vermutet Direktor Marcel Ruf. Die Hauptprobe des Stücks findet jeweils vor den anderen Mithäftlingen statt und das sei wohl einigen zu peinlich: «Es ist die grösste Angst der Häftlinge, dass sie von den Kollegen ausgelacht werden.»
Diese Angst sei aber unbegründet fährt Ruf fort: «Das hat es nie gegeben, auch nicht bei den letzten zwei Stücken, die wir hier gespielt haben.» In der JVA Lenzburg spielten Häftlinge 2013 das Stück «Wild im Herz», und 2010 war es «Warten auf Godot». Die Stücke seien immer ein grosser Erfolg gewesen und sowohl die Häftlinge als auch die Zuschauer hätten grossen Gefallen daran gefunden.
Für Zuschauer echte Gefängniserfahrung
In Deutschland gebe es in rund 20 Prozent der Gefängnisse Theaterprojekte, erklärt Regisseurin Annina Sonnenwald. Dort halte man einiges vom theaterpädagogischen Ansatz im Strafvollzug. In der Schweiz dagegen sei es schade, dass es nur einige wenige Einzelprojekte gibt, obwohl diese jeweils sehr gut ankämen.
Das zeigt sich auch in Lenzburg. Pro Vorstellung stehen maximal 80 Plätze für Zuschauer zur Verfügung. Die Tickets für die sieben Aufführungen waren aber schon Wochen vor dem Stück ausverkauft. Neben dem Theaterstück dürfte sich das Publikum auch für einen Einblick ins Gefängnis begeistern. Vor der Vorstellung werden alle Zuschauer für eine knappe Stunde im Gefängnis eingeschlossen – quasi als Einstimmung aufs Gefängnistheater.