«Eine normale Geburt macht mir eine Riesenangst. Diese Schmerzen sind nichts, was ich erfahren möchte!»
In wenigen Wochen ist es wieder so weit: Die ehemalige Spitzensportlerin Mirjam Jäger wird zum zweiten Mal Mutter. Und dass auch dieses Kind per Kaiserschnitt zur Welt kommt, steht für die 37-Jährige ausser Frage.
Schon ihr erstes Kind kam so zur Welt – aus medizinischer Notwendigkeit. Doch bereits damals war für sie klar: Natürlich gebären wollte sie so oder so nicht.
«Ich will nicht riskieren, dass ‹da unten› etwas zerreisst», hält sie im SRF-Gesundheitsmagazin «Puls» fest. «Und es gibt ja noch viele andere Nebenwirkungen und Sachen, die bei einer natürlichen Geburt schieflaufen können!»
Ihr öffentliches Bekenntnis zum geplanten Kaiserschnitt brachte ihr heftige Kritik ein. Kritik, die sie nicht wirklich nachvollziehen kann: «Ich finde es eigentlich fast eine Frechheit, dass man von einer Schwangeren automatisch eine natürliche Geburt erwartet.»
Da gebe es doch verschiedene Faktoren, die dagegen sprechen können. Der Körperbau etwa, oder die Grösse des Babys. «Für Frauen, die es dann trotzdem probieren wollen und am Ende doch einen Notkaiserschnitt brauchen, kann das eine sehr traumatisierende Erfahrung sein.»
Ganz anderer Meinung ist Lisa Tschannen. Bis zuletzt hatten sie und ihr Mann gehofft, dass ihre Tochter auf natürlichem Weg zur Welt kommen kann. Doch Ella hatte Querlage und musste schliesslich mit einem Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden.
In die Freude der Eltern mischt sich eine Spur Bedauern: «Das Erlebnis hätte ich gerne gehabt. Diese Grenzerfahrung. Ich glaube, das macht einen auch stärker als Frau. Nach einer guten Geburt hinausgehen und sagen: ‹Wow, ich habe das geschafft! Wir haben es geschafft als Paar!›»
Lisa Tschannen ist selber Hebamme und hätte sich auch darum eine natürliche Geburt gewünscht. Intensive Gefühle, Unerwartetes, aber auch Schmerzen.
Doch sie kann die Vorbehalte vieler Frauen gegen eine natürliche Geburt verstehen. «Man hört immer nur das Furchtbarste, weil die Leute halt lieber Horrorstorys erzählen. Dann bildet sich natürlich eine Vorstellung von der Geburt, die Angst macht.»
Diese Erfahrung macht auch Gabriella Stocker, die stellvertretende Chefärztin der Frauenklinik am Stadtspital Triemli. Und sie kennt einen weiteren Grund für die kontinuierlich steigende Zahl der Kaiserschnittgeburten: Die Gebärenden werden immer älter.
Jede dritte Frau in der Schweiz ist über 35, wenn sie Mutter wird. Das erhöht bei einigen das Risiko für Komplikationen und führt zu mehr Kaiserschnitten. «Ein weiterer Grund ist auch, wie wir als Gesellschaft mit dem Schwangersein umgehen», ist die Gynäkologin überzeugt. «In anderen Gesellschaften sind die Frauen während der Schwangerschaft besser geschützt, haben Zeit, sich auf die Geburt vorzubereiten.»
Gabriella Stocker ist überzeugt, dass in der Schweiz zu viele unnötige Kaiserschnitte gemacht werden. Die Rate der medizinisch nicht notwendigen Eingriffe müsse sinken.
Die neuen gemeinsamen Leitlinien der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe DGGG, ÖGGG und SGGG bezwecken genau dies. Denn die gestiegene Kaiserschnittrate geht nicht mit entsprechenden gesundheitlichen Gewinnen für Mutter und/oder Kind einher.
Das stärkste Argument für einen medizinisch nicht nötigen Kaiserschnitt: die komfortable Planbarkeit. Dem steht entgegen, dass selbst eine derart häufige Operation nicht völlig ohne Risiken ist – und dem Kind durch den fehlenden Geburtsweg durch die Vagina durchaus Vorteile entgehen. Zum Beispiel mütterliche Bakterien, die einen positiven Einfluss auf das Mikrobiom des Neugeborenen haben.
Vor dem Entscheid alle Fakten kennen
Wunsch-Kaiserschnitt ja oder nein? Der Entscheid liegt letztlich bei der werdenden Mutter. Die Leitlinie setzt deshalb auf frühzeitige, umfassende Informationen der Schwangeren, «die sie befähigen, eine informierte Entscheidung hinsichtlich der Geburt zu treffen.»
Was das bedeutet, weiss Gabriella Stocker genau: «Man kann nicht erst in den letzten zwei Wochen der Schwangerschaft noch über die Geburt reden. Das fängt viel früher an, in der Schwangerschaftsbetreuung, wie man Frauen begleitet, wie man sie coacht und ermutigt und Vertrauen gibt, dass sie das wieder können.»
Werdende Mütter zu einer natürlichen Geburt ermutigen – das ist vor allem Aufgabe der Hebammen und der Frauenärztinnen und Frauenärzte. Als Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hinterfragt Irène Dingeldein immer wieder mal den Entscheid ihrer Kollegen und Kolleginnen, warum es zu einem Kaiserschnitt kam.
«Als Ärztin habe ich natürlich schon grossen Einfluss und kann jede Frau davon überzeugen, dass sie einen Kaiserschnitt braucht. Aber das ist eben nicht das Ziel. Eigentlich muss man die Entscheidungsfindung wirklich gemeinsam mit der werdenden Mutter machen.»
Ist ein geplanter Kaiserschnitt für die Ärztinnen und Ärzte nicht auch praktischer als eine natürliche Geburt?
Iréne Dingeldein mag nicht abstreiten, dass dies für manche ihrer Berufskolleginnen und -kollegen ein Faktor sein kann: «Wir Geburtshelferinnen und Geburtshelfer sind 24 Stunden, Tag und Nacht abrufbar und eilen bei Wind und Wetter zu den Geburten. Das ist auch sehr schön. Aber wenn man weiss, dass ein Kaiserschnitt übermorgen um acht ansteht, ist das natürlich etwas einfacher.»
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