Eines vornweg: Auch Epson hat das Problem noch nicht gelöst, wie normale Brillenträger eine zweite Brille tragen sollen. Zwar ist Moverio breit genug, dass sie über eine Brille passt, aber optisch auf diese Weise verunstaltet geht niemand freiwillig auf die Strasse.
Mein Vorschlag an Epson: Bietet zusammen mit dem ziemlich happigen Preis von etwa 800 Franken für das Brillen-Gadget doch gleich ein subventioniertes Kontaktlinsen-Abo an, damit sich Brillenträger ent-brillen und mit der Moverio be-brillen können.
Weder Fisch noch Vogel
Ist Moverio wie Google Glass? Nein. Googles Brille projiiziert nur auf einer Seite Informationen ins Sichtfeld des Benutzers und muss dazu immer via Smartphone mit dem Internet verbunden sein. Die Intelligenz von Glass liegt also in der Google Cloud und auch die Rechenarbeiten werden dort ausgeführt.
Anders bei der Moverio-Brille: Sie ist über ein Kabel mit einem Kästchen verbunden, das auf den ersten Blick wie ein Smartphone aussieht. Statt auf einem Touchscreen fingert man aber auf einem Trackpad herum, wie wir ihn von Notebooks als Maus-Ersatz kennen. Damit steuere ich einen Zeiger, den ich in der Datenbrille sehe – mit beiden Augen. Wenn ich Moverio anziehe, entsteht das Gefühl, als wenn ich auf ein Smartphone blicken würde, dass etwa zwei Meter vor mir im Raum zu schweben scheint.
Auch 3D ist möglich. Ist Moverio also eine 3D-Brille, vergleichbar etwa mit der Oculus Rift ? Nein. Oculus Rift ist erstens viel günstiger als Moverio – und zweitens wegen der Grösse und optischen «Bulligkeit» nur für stationären Einsatz ausgelegt. Also in erster Linie zum Spielen, in einer virtuellen Realität, und nicht, um sich in der richtigen Welt mit eingeblendeten Zusatzinformationen zu bewegen.
Moverio ist also weder Glass noch Oculus, weder Fisch noch Vogel, sondern irgendwas dazwischen. Hersteller Epson sagt, das sei völlig in Ordnung so und vermarktet das Modell als eigene Kategorie.
Was geht ab?
Als ich die Moverio zum ersten Mal in die Hand nehme, denke ich an eine Sonnenbrille aus einem Souvenirladen: Billiges Plastik und schlecht sitzende Nasenbügel. Haptisch ist auch das Kontrollkästchen eine Enttäuschung: Es fühlt sich alles andere an wie ein Produkt, das preislich gegen vierstellig tendiert.
Die inneren Werte sind da entsprechender. Vor meinen Augen taucht ein Monitor aus, der richtig gut aussieht. Schnell habe ich mich daran gewöhnt, dass ich nicht auf der Oberfläche des Kontrollkästchens schauen muss, um den Zeiger zu sehen, sondern einfach durch die Brille hindurch, weil mein «Monitor» ja schwebend im Raum ist.
Darauf sehe ich verschiedene Apps. Das ist kein Wunder ist, denn das Kontrollkästchen läuft mit Android; es ist eigentlich ein Smartphone ohne Telefonfunktion und Touchscreen. Deshalb kann ich mit der Brille auch alles machen, was ich mit meinem Android-Handy anstellen könnte: beliebige Apps installieren und starten – und was abgeht, sehe ich dann einfach direkt vor meinen Augen. So kann ich ein Buch lesen, ohne ein Tablet in der Hand halten zu müssen, Kartenmaterial betrachten oder E-Mails lesen.
Erweiterter Augen-Blick
Spannend wird Moverio bei Apps, die Epson speziell für die Brille entwickelt hat und die die Lage-und Positions-Sensoren in der Brille ausnutzen. Eine Astronomie-App etwa, durch die ich am Himmel Planeten eingeblendet sehe – genau dort, wo ich sie mit blossem Auge entdecken würde. Wenn ich den Kopf drehe, ändern auch die eingeblendeten Planeten ihre Lage.
Beeindruckend und spannend – aber nicht neu: Apps, die reale Sicht durch die Smartphonekamera mit eingeblendeten virtuellen Realitäten ergänzen, kennen wir schon lange. Bei der Moverio-Brille findet die Sicht auf die reale Welt nun einfach nicht mehr durch eine zwischengeschaltete Kamera auf dem Smartphone-Display statt, sondern direkt vor meinen Augen.
Wozu das alles?
Es fällt nicht leicht, einen wirklichen Nutzen für die Datenbrille zu finden. Sie bietet mir nichts, was nicht auch mein Smartphone könnte; einzig, dass ich nicht mehr mit krummem Nacken auf dessen Bildschirm schauen muss. Dass durch die Brille in Zukunft Rücken-und Haltungsschäden vermieden werden, wie es ein Produktemanager bei der Präsentation prophezeihte, scheint mir dann aber etwas gar euphorisch zu sein.
Sinnvoll könnte Moverio immerhin für Spezialanwendungen sein: In Museen könnten solche Brillen die gängigen Audioguides ergänzen oder ersetzen. Bereits Realität: Epson hat das Vorgängermodell der aktuellen (BT-200) Moverio am Universitätsspital Zürich zusammen mit einem Computertomographen im medizinischen Einsatz .
Während ein Computertomograph den Patienten scant, sieht dieser auf der Moverio-Brille seine eigenen Atemzüge und kann damit seine Atmung kontrollieren bezüglich der Tiefe, Dauer und Regelmässigkeit. So können die Mediziner Einflüsse der Atembewegung auf den Scan korrigieren – die Aufnahmen werden genauer.