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«Das Trinken fühlte sich an wie eine Umarmung meines Vaters»
Aus Rehmann vom 01.11.2021.
abspielen. Laufzeit 56 Minuten 32 Sekunden.

Rehmann «Das Trinken fühlte sich an wie eine Umarmung meines Vaters»

Noah erfährt erst lange Zeit nach dem Tod seines Vaters, dass dieser drogensüchtig war. Robin Rehmann erzählt er, von seiner Angst, selber abhängig zu werden und wie er sich mithilfe von Stift und Pinsel verwirklichen und seine Gefühle ausleben kann.

Als Noah fünf Jahre alt ist, stirbt sein Vater. Was das genau bedeutet, versteht der Junge damals wahrscheinlich gar nicht wirklich und er beschäftigt sich deshalb auch nicht damit. Erst als er in die Jugendjahre kommt, fragt er sich plötzlich: Wer ist eigentlich mein Vater? Welche Ratschläge würde er mir geben? «Dann hat es mich plötzlich traurig gemacht», erinnert er sich.

Seine Mutter erzählt Noah nicht, wieso oder woran sein Vater gestorben ist – heute glaubt er, es war vielleicht, weil sie ihn nicht überfordern wollte, da er’s als Teenager nicht einfach hat. «In der Schule lief’s nicht gut, ich hatte kein gutes Verhältnis zu ihr und mit 16 bin ich vom Land abgehauen nach Zürich.» Auch sei er schnell aggressiv geworden, erzählt er. «Es war mir alles zu viel!»

Neue Erkenntnisse über seinen Papa

Vor zwei Jahren schreibt ihm jedoch plötzlich seine Tante und fragt Noah nach einem Kaffee-Date. «Zuerst fragte sie mich, ob ich kiffe und erzählte, mein Vater hätte auch als Teenager mit dem Kiffen angefangen.» Doch damit nicht genug: Im Militär habe er mit Koks angefangen, danach habe er Heroin genommen, verrät ihm seine Tante. «Ich dachte zuerst, ich höre nicht richtig», ist Noah heute noch verblüfft. Von 0 auf 100 zu erfahren, wer sein Vater wirklich war und zu wissen, was für ein Leid er in sich trug, schmettert Noah zu Boden. Er kennt seinen Vater nur von den Fotos – aber durch die neue Erkenntnis sieht er in diesen plötzlich viel mehr.

Dass sein Vater drogenabhängig war, trifft den heute 19-Jährigen sehr. «Ich hatte eine Flut von Emotionen im Kopf, die mich überwältigte.» Das sei oft so bei ihm. Jetzt macht für ihn jedoch vieles Sinn: Seine Mutter lernt seinen Vater in einer Drogenklinik, in der sie als Betreuerin arbeitet, kennen. «Sie dachte wohl: ‹Süchtig hin oder her, was zählt, ist der Mensch dahinter. Und eine zweite Chance verdient jede:r›.»

Noah beginnt, neben dem Kiffen, Alkohol zu trinken. Viel Alkohol. «Ich habe mich meinem Vater dann immer näher gefühlt», erzählt er. So zwingt er sich damals quasi, zu trinken, obwohl er sagt, er sei eigentlich nicht der Typ für Alkohol.

Seit neun Monaten trinkt er gar nicht mehr, oder besser gesagt, er konsumiert überhaupt keine Suchtmittel mehr – auch aus Angst, selbst in eine Abhängigkeit zu fallen. «Aber Lust, mich so [nah zu seinem Vater] zu fühlen, habe ich manchmal immer noch», sagt Noah und fügt an: «Es ist schwierig in Worte zu fassen, aber es fühlte sich irgendwie an wie eine Umarmung meines Vaters.

Die Kunst als Ventil

Vielmehr verwirklicht er sich heute in der Kunst. Vor einem halben Jahr fängt Noah mit dem Malen an, das er mit Geschriebenem verbindet. «Ich komme in einen richtigen Malrausch, es ist ein wenig wie Meditieren.» So schreibe und male er über alles, was ihn gerade beschäftige – natürlich auch über seinen Vater.

Seinen Schmerz verpackt Noah auch in einen Film, der im September seine Premiere feiern durfte. In diesem erzählt der 19-Jährige, wie er sich fühlt, wie es ihm geht. Und was für ihn nicht mehr geht: Ohne Kunst zu leben. «Ohne Farbe und Kunst wäre ich am Arsch», sagt Noah. Heute verbringt er auch lieber Zeit alleine in seinem Atelier als im Ausgang mit seinen Kolleg:innen.

S.O.S. – Sick of Silence

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Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

Und der Künstler hat Grosses vor: «In meinem nächsten Filmprojekt will ich Suchtkranken eine Stimme geben», erzählt er. So wolle er Aussenstehenden zeigen, dass auch sie Menschen und keine Zombies sind. «Ich will den Leuten die Augen öffnen!»

Und für sich selbst weiss Noah heute auch: «Seit ich Kunst mache, will ich jeden Tag die beste Version von mir selbst sein!»

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