«Wir wollen alle dasselbe: gesunde und produktive Ozeane. Und eine gesicherte Versorgung mit Fisch auch für künftige Generationen», sagt Rupert Howes, Chef des Marine Stewardship Council-Label (MSC).
Die Meere sind überfischt, die Bestände bedroht und gleichzeitig ist die Nachfrage ungebrochen hoch. Diese Rechnung kann nicht mehr aufgehen. Gut, gibt es eine Organisation, die darauf achtet, dass wieder ein Gleichgewicht hergestellt wird:
- Fische fangen Ja – aber kontrolliert und in Massen.
- Fische kaufen Ja – aber bewusst.
MSC strebt an, dass jedes dritte Fischprodukt bis 2030 das Ökosiegel trägt. Doch wie glaubwürdig ist das Siegel tatsächlich?
Label geniesst bei Konsumenten hohes Ansehen
In der Nordsee geht die holländische Firma EKOFISH auf Schollenfang. Seit 2009 hat die Firma das MSC-Siegel. EKOFISH schont die Bestände. Allerdings war das schon vor der Zertifizierung so. Warum hat das Unternehmen das Siegel trotzdem beantragt ?
«Unsere Lage war schwierig», so Geschäftsführer Louwe de Boer. «Es gab Gerüchte, die Supermärkte würden nicht nachhaltige Produkte aus dem Sortiment nehmen. Das war das Signal, etwas zu ändern.»
Wenn das MSC-Siegel drauf ist, gibt es keine Fragen mehr.
Das Label geniesst bei den Konsumenten eine so hohe Anerkennung, dass sich Fischereibetriebe zertifizieren lassen, obschon dies nach ihren eigenen Angaben nicht unbedingt notwendig wäre. «Wenn das MSC-Siegel drauf ist, gibt es keine Fragen mehr», fügt Louwe de Boer an.
Verständlich, dass immer mehr Fischereien das Label haben möchten. Aber ist es überhaupt möglich, so viel Fisch nachhaltig zu fangen? Kritiker behaupten, MSC setze immer mehr auf Masse statt auf Qualität.
Auf Hai-Jagd an den Küsten Spaniens
Ein Schiff kehrt von einer Fangreise aus dem Nordatlantik zurück. An Bord sollen sich Haie befinden. Tatsächlich fängt der Verband der galizischen Langleinenfischer (Orpagu) pro Jahr etwa 1 Million Haie. Gutes Geld bringen die Flossen: 10 bis 12 Euro das Kilo. Haifischflossensuppe ist bei wohlhabenden Chinesen beliebt.
2014 hat der Verband Orpagu – nach erfolgreicher Vorprüfung durch MSC – das Siegel beantragt. Orpagu begründet dies ähnlich wie die holländische Firma EKOFISH: Das Siegel schafft bei den Konsumenten Vertrauen.
Doch obwohl der Hai mit 75 Prozent das Hauptgeschäft der Fischer ist, hat das Unternehmen seinen MSC-Antrag für Schwertfisch gestellt, der in geringeren Mengen an Land gebracht wird.
Der Hauptfang «Hai» wird nur noch als wirtschaftlich genutzter «Beifang» geführt.
Haiflossen sind das Gold des Meeres.
Naturschützer befürchten, dass Haie im Atlantik bereits bedroht sind. Friederike Kremer Obrock von der Haischutzorganisation «Shark Project» stellt fest, dass die gefangenen Haie immer kleiner werden. Ein klares Indiz für Überfischung.
Warum machen die Fischer dennoch weiter? «Um Geld zu verdienen. Die Flossen sind das Gold des Meeres», sagt die Naturschützerin.
Prüfer selbst aussuchen und bezahlen
Kann das Unternehmen unter diesen Umständen ein MSC-Siegel erhalten? Und wer ist für das Prüfverfahren zuständig? Im Falle von Orpagu ist es eine freie Prüfgesellschaft, das Büro Veritas.
Das Fischereiunternehmen kann sich diese Prüfer selbst aus einer Liste des MSC aussuchen – und auch selbst bezahlen. Die Frage nach der Unabhängigkeit stellt sich.
In ihrem Bericht erkennen die Prüfer zunächst an: «Eine Überfischung kann nicht ausgeschlossen werden.» Doch ein paar Seiten weiter kommen sie zum Schluss: «Die Fischerei sollte nach MSC-Standard zertifiziert werden.»
MSC verweist auf die Verantwortung des Prüfbüros. Tatsächlich seien Einwände deponiert worden. Die Fischerei hat den Antrag zurückgezogen.
Thunfischfang in Mexiko
Hochseefischer ist ein gefährlicher Beruf, das Meer ein risikoreicher Arbeitsort. Doch offenbar ist es auch gefährlich, wenn jemand zu viel sagt.
In Mexiko geriet die Thunfisch-Industrie in Verruf, weil als Beifang viele Delphine getötet wurden. Vor 30 Jahren dokumentierte der amerikanische Biologe Sam LaBudde als erster das Sterben der Delphine beim Fischfang. Seine Bilder führten zu Protesten in Europa und den USA.
Die mexikanische Thunfisch-Industrie war gezwungen zu reagieren. Antonio Suarez Gutiérrez von der Firma Grupomar wird auch «König der Thunfische» genannt. Er sagt: «Es gab Proteste, zu Recht. Aber inzwischen haben wir unsere Methoden verbessert. Jetzt sind Taucher an Bord, um die Delphine aus den Netzen zu befreien. Wir kümmern uns um die Delphine. Das ist bewiesen – auch durch den MSC, der niemanden leichtfertig zertifiziert. Drei Jahre lang haben die geprüft.»
MSC hat im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa 36 Fangschiffe zertifiziert, die 80 Prozent des landesweiten Thunfischfangs verantworten. Auf den Schiffen sind sogenannte «Observer», die den Fang überwachen. Auskunft geben will jedoch keiner. Auch aus Angst. Wer auspacke, laufe Gefahr über Bord geworfen zu werden. Fragen zur heutigen Situation rund um den Thunfischfang sind unerwünscht.
Es gibt jedoch Indizien, dass nach wie vor mehr Delfine gefangen werden, als das mit der MSC-Zertifizierung erlaubt wäre. Das Fischereiministerium in Mexiko bestätigt dies dem Filmteam vertraulich.
Der MSC ist von der Industrie gekapert worden.
Daniel Pauly half einst, das Marine Stewardship Council ins Leben zu rufen. Der Meeresbiologe arbeitet am Institute for Oceans and Fisheries der Universität von British Columbia. Heute zieht er eine bittere Bilanz: «Der MSC sollte die Interessen von zwei Gruppen vertreten: Industrie und Naturschutz. Deshalb wurde er gegründet, aber er tut es nicht. Er ist von der Industrie gekapert worden.»
Ein Ökosiegel für die ganze Branche
15 Prozent der weltweiten Fischproduktion hat mittlerweile das Siegel. Das sind tausende Fischereien – es sollen aber viel mehr werden.
Nicht nur die besten sollen dabei sein, sondern auch jene, die überfischen und kein vernünftiges Management haben. Sie sollen das Niveau heben, sagt Rupert Howes, Geschäftsführer MSC. Sein Ziel: Die Fischerei insgesamt nachhaltiger zu machen.
Der DOK-Film zum Thema:
Statement von MSC zum DOK-Film:
Der Film kritisiert den MSC anhand einer Fischerei, die nie MSC-zertifiziert war; anhand von Bildern und Zahlen, die 30 Jahre alt sind, älter als der MSC selbst; anhand dubioser Quellen. Seriös ist das nicht.