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Autor Michael Stavaric im Café Jelinek in Wien, wo er oft an seinen Texten schreibt
Bild: Yves Noir
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«in an schwoazzn kittl gwicklt» von Michael Stavaric

Der österreichische Autor Michael Stavaric hat einen Gedichtband in Wiener Mundart herausgegeben. Es sind brüchige Fragmente eines am Leben zweifelnden und verzweifelnden, aber auch humorvollen lyrischen Ichs.

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Die Texte leben vom Sprachwitz, von Alltagssituationen und von den sprunghaften Assoziationen, die Unzusammengehöriges zusammenbringen.


Drastisch im Dialekt - mild auf Hochdeutsch

Der Dialekt spielt dabei eine besondere Rolle: Stavarics Wortwahl ist manchmal drastisch bis an die Schmerzgrenze. Das zeigt sich deutlich an den Übersetzungen ins Hochdeutsche, die der Autor selber verfasst hat. Sie zeichnen ein ganz anderes, meistens milderes Bild desselben Gedichts. Auch die Schreibung der Mundart ist auffällig, nämlich radikal der Mündlichkeit verpflichtet.


Gedicht Nr. 49

«im menschngwü am grobn in da wina innenstodt
san an fiaka d pferd durchgongan
i söbst hob grod no zur saitn hechtn kenna

do net olle woarn so schnöö wia i
an klan madl hot ans von di gigara
den kopf zamanscht
und an itaka hots a unta di reda von da kutschn kaut

d lait hom gschrian und grert
nua dea kutscha hot gfluacht
und hot gmant dos s eam raicht
dos s di pferd in leberkas kuman
basta»

«im menschengewühl am graben in der wiener innenstadt
sind einem fiaker die pferde durchgegangen
ich selbst konnte grad noch zur seite springen

doch nicht alle waren so schnell wie ich
einem kleinen mädchen hat eines von den pferden
den kopf aufgeschlagen
und ein italiener kam unter die räder der kutsche

die menschen haben gebrüllt und geweint
nur der kutscher hat geflucht
und gemeint dass es ihm reicht
dass die pferde zum abdecker kommen
punktum»


In der Tradition von H.C. Artmann

Im Gespräch gibt der Autor Auskunft über seine spezifisch an die Mundart angepasste Poetik und über den Dialekt in Wien. Ausserdem über die wichtige Rolle, die der Dichter H.C. Artmann für seine eigenen Mundartgedichte spielt. Artmann zählt mit seinem Gedichtband «med ana schwoazzn dintn» zu den Gründern der «konkreten poesie» in den 50er Jahren. Und natürlich liest Stavaric in der Sendung einige seiner wunderbar sperrigen Gedichte.

Buchtipp

* Michael Stavaric: «in an schwoazzn kittl gwicklt». Gedichte. Czernin Verlag, Wien. 2017
* Michael Stavaric: «Gotland». Roman. Luchterhand Verlag 2017
* H.C. Artmann: «med ana schwoazzn dintn. gedichta r aus bradnsee». Otto Müller Verlag Salzburg, 1958 (9. Auflage)
* Ernst Jandl: «sprechblasen. Andere Augen». Sämtliche Werke in 6 Bänden. Luchterhand Verlag 2016