Zum Inhalt springen
Audio
Wohin geht die Reise? Menschen warten auf dem Bahnsteig auf einen Zug.
Bild: SRF. Charles Liebherr
abspielen. Laufzeit 27 Minuten 9 Sekunden.
Inhalt

Im Nachtzug nach Brüssel: EU-Verkehrspolitik ohne Fahrplan

Der Verkehr muss 90 Prozent seiner Co2-Emissionen einsparen bis in 30 Jahren. Eine massive Verkehrsverlagerung von der Strasse auf die Schiene ist nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Der EU fehlt allerdings ein überzeugender Fahrplan.

Download

2021 ist das europäische Jahr der Schiene. Europa will Werbung machen für die Bahn als nachhaltiges Verkehrsmittel. Will die EU ihre Klimaschutz-Ziele bis in 30 Jahren erreichen, muss eine Mehrheit der Güter und Reisenden rasch auf den Zug umsteigen.

Libor Lochmann, ehemaliger Direktor des Dachverbands privater und staatlicher Bahnen, ist trotzdem wenig erfreut: «Die aktuellen Reise-Einschränkungen passen nicht zum Jahr der Schiene. Niemand will mit dem Zug reisen, wenn die Regierungen den Bürgerinnen und Bürgern vorschreiben, zu Hause zu bleiben.» Vom ersten Tag des Jahres an müssten Reisende sich an Bord eines Zuges eigentlich wohlfühlen, so Lochmann.

Im europäischen Jahr der Schiene fürchten Menschen aber, sich im Zug mit dem Corona-Virus anzustecken. Berufs-Pendlerinnen in ganz Europa steigen wieder vermehrt vom Zug aufs Auto um. Mit Blick auf die ambitionierten Klimaziele der EU kommt das Jahr der Bahn aber ohnehin nicht früh genug. Der Verkehr gehört zu den wenigen Industrie-Sektoren, die ihren CO2-Ausstoss nicht senkten in den letzten Jahren. Der Strassenverkehr ist schuld. Im Güterverkehr werden drei von vier Waren auf der Strasse transportiert. 80% beträgt der Anteil der Strasse beim Personenverkehr. Nicht einmal 8% beträgt der Marktanteil der Bahn.

Die Zeit zum Umdenken wird knapp. Darum will die EU noch einmal viel mehr in den Ausbau des europäischen Schienennetzes investieren. Die EU steckt sich ehrgeizige Ziele: Touristen in Europa sollen künftig Strecken bis 800 km im Zug reisen, nicht mehr im Flugzeug. Bis in zehn Jahren soll hierfür in Europa ein ausgebautes Netz von Hochgeschwindigkeitszügen bereitstehen. Dieses Ziel sei wichtig, meint die für Verkehr zuständige EU-Kommissarin Adina Valean. Das Ziel sei in Absprache mit den Mitgliedsstaaten definiert worden, die das Schienen-Netz bauen und mehrheitlich auch finanzieren müssen.

Allen sei nun klar, worin die Hausaufgaben bestünden. Am Geld sollte es nicht fehlen. Viele Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbau-Fonds können die EU-Staaten günstig abrufen. Niemand sollte in zehn Jahren aber überrascht sein, wenn das Ziel verfehlt würde.

Das war schon immer so beim Planen des trans-europäischen Bahnnetzes: Die EU-Milliarden-Zuschüsse flossen bisher nämlich fast ausschliesslich in den Ausbau des nationalen Schienennetzes. Top sind die TGV Verbindungen von Bordeaux nach Paris und weiter bis nach Strasbourg. Den Anschluss an das deutsche Netz für die Weiterfahrt nach München ging vergessen.

Auch die Schweiz ist betroffen, die versprochenen Neat-Anschlüsse in Deutschland und Italien sind immer noch nicht gebaut.

Die Bilanz des europäischen Rechnungshofs ist vernichtend: Dem europäischen Schienennetz fehlt es an grenz-überschreitenden Anschlüssen, das Tempo der Züge auf diesen Verbindungen ist alles andere als Highspeed und der Ausbau der versprochenen Verbindungen erfolgt mit einer durchschnittlichen Verzögerung von 11 Jahren, bei gleichzeitig explodierenden Kosten. Die Folgen dieser Fehlplanung fasst Libor Lochmann, Direktor des Dachverbandes der europäischen Bahnen, in einem Satz zusammen:

«Den Markt für Reisen über 400, 500 Kilometer hat die Bahn fast vollständig verloren; Weil sie nicht mehr wettbewerbsfähig ist.»

Eine Kehrtwende wäre dringend nötig. Diese ist aber noch nicht absehbar.