Die Schweiz ist ein kleines Land, ihre 26 Kantone sind noch kleiner. Und trotzdem könnten die Unterschiede nicht grösser sein, wenn man die existierenden Klischees und Stereotypen für bare Münze nimmt.
«Der Kanton ist unser kultureller Referenzrahmen», erklärt SRF-Mundartexperte André Perler: «Man rauft sich zwar zusammen, wenn es sein muss. Zum Beispiel bei Fussballspielen, da sind wir alle eins für unsere Nationalmannschaft. Im schweizerischen Kontext ist der Kanton unser Team, mit dem wir uns identifizieren.»
Der Kanton ist also eine klare Einheit, eine Struktur. «Man sagt nicht ‹ich bin der Peter vom Rhein›, sondern ‹ich bin der Peter aus dem Kanton Basel›». Innerhalb der Schweiz sind die Kantonsgrenzen sehr gut merkbar, die Grenzen sind auch einfach relevant.
Unterschiede von der Bildung bis zur Hundehaltung
Denn: Neben der kulturell-gesellschaftlichen Stereotypen gibt es den politischen Kantönligeist. «In der Schweiz haben wir das sogenannte Subsidiaritätsprinzip. Das heisst: Die Kantone agieren ziemlich autonom», sagt Perler. Das zeigt sich beim Thema Bildung: In einigen Kantonen kann man schon ab der sechsten Klasse ans Gymnasium wechseln, in anderen erst ab der zweiten Sekundarstufe, um nur ein Beispiel zu nennen.
Auch sind die Anforderungen der Prüfungen fürs Gymnasium – oder für die Kantonsschule, wie die Institution in anderen Kantonen heisst – verschieden. Wie auch am Ende die Maturitätsprüfungen.
Nebst der Bildung gibt es bekannterweise ganz viele weitere Bereiche, bei denen es grosse kantonale Unterschiede gibt. Wer in Steinach im Kanton St. Gallen mit seinem Bullterrier die Seepromenade geniessen will und Richtung Arbon (TG) läuft, tut damit etwas Illegales. Denn für einen Bullterrier braucht es im Kanton Thurgau eine Bewilligung. Im Kanton Zürich wäre der Hund sogar verboten.
Kantonsgrenzen werden schwammiger
Man könnte die Liste noch ewig weiterführen mit solchen Gesetzen. «Dieser Föderalismus ist in der Schweiz etwas schwierig, weil das Land an sich sehr klein ist», sagt André Perler dazu. Darum fällt dieser Kantönligeist so auf.
Auf Gesetzesebene dauert es lange, bis sich etwas ändert. Deshalb wird die Gesetzesvielfalt in den verschiedenen Kantonen wohl noch länger anhalten. Doch im gesellschaftlichen Kontext scheinen die Kantone an Bedeutung zu verlieren. «Ich denke, die Jugendlichen heute identifizieren sich weniger mit einem Kanton. Wenn die Eltern aus verschiedenen Kantonen stammen und man eventuell in einen neuen Kanton zieht, ist die Identifikation mit diesem Kanton geringer», sagt Perler. Dieses Phänomen sei sicher häufiger der Fall als vor 50 Jahren.
Ist Föderalismus out?
Diese Entwicklung bestätigt auch das Sorgenbarometer der GFS aus dem Jahr 2022: «Die Schweizer Bevölkerung identifiziert sich zunehmend mit dem Land als Ganzes. Die Stimmberechtigten identifizieren sich immer weniger mit dem eigenen Wohnkanton oder auch der Sprachregion.» Der Föderalismus wird im neuesten Bericht als ein Fakt beschrieben, auf den Schweizerinnen und Schweizer weniger stolz sind als noch in der Vergangenheit.