Ein erbitterter Kampf in einer Scheune: Ein Mann im Anzug drückt eine junge Frau zu Boden. Sie hat ihm kurz zuvor klipp und klar gesagt, dass sie kein Interesse an ihm hat. Das führte zu einer Auseinandersetzung. Jetzt liegen beide im Heu.
Die Frau versucht, sich loszureissen, drückt den Mann mit aller Kraft von sich weg. Doch er ist stärker. Sein Gesicht nähert sich dem ihren. Verzweifelt dreht sie den Kopf zur Seite. Keine Chance. Er hält sie fest – und küsst sie.
Klapps auf den Hintern, Schlag ins Gesicht
Der Mann im Anzug heisst James Bond. Die Frau trägt den seltsamen Namen Pussy Galore, übersetzt «Muschi im Überfluss». Die Szene stammt aus dem dritten James-Bond-Film «Goldfinger» von 1964. In YouTube-Kommentaren und Online-Artikeln wird die Szene als Vergewaltigung interpretiert. Andere kommen in Online-Diskussionen zum Schluss, Pussy Galore habe es auch gewollt. Was wiederum bedeuten würde, dass das «Nein» einer Frau auch als «Ja» gedeutet werden kann.
Im Internet wimmelt es von Zusammenschnitten mit ähnlichen Szenen aus den bisherigen 24 Bond-Filmen: 007, der Frauen schlägt, ins Gesicht und auf den Hintern. Der sie wegschickt, wenn «die Männer sprechen», ihnen gegen ihren Willen das Bikini-Oberteil auszieht und sie damit würgt. Der sexistische Sprüche klopft.
#TimesUp für James Bond?
Vor sechs Jahren kam der letzte 007-Film «Spectre» in die Kinos. Aus den Schlagzeilen und Sozialen Medien ist der britische Geheimagent seither nicht verschwunden. Nicht nur, weil der Kinostart des 25. Films immer wieder verschoben werden musste.
Seit «Spectre» hat sich gesellschaftlich viel getan. Im Zuge der MeToo-Bewegung wurden Debatten über sexuelle Belästigung, Sexismus und Feminismus lauter. Die Bond-Filme kommen dabei nicht gut weg: Bond steht mehr in der Kritik als je zuvor.
Das sieht man an den diversen Videos, die in den Sozialen Medien geteilt werden und den Artikeln, die zum Thema veröffentlicht wurden. «#TimesUp für James Bond. Ist 007 zu toxisch für die #MeToo-Ära?» fragt etwa der britische Guardian in Anspielung auf die beiden Bewegungen #TimesUp und #MeToo gegen Diskriminierung und sexuelle Belästigung von Frauen. Der Autor forderte darin, den Helden aus einer neuen Perspektive zu betrachten.
Unterschiedliche Blicke auf einen Anachronismus
Wie geht man in der MeToo-Ära mit Bond um? Wie betrachtet man die Filme, die in den letzten 59 Jahren erschienen sind? Und wie kann es weitergehen mit einem Kino-Agenten, der so aus der Zeit gefallen scheint?
Vier Expertinnen und Experten haben sich dazu Gedanken gemacht. Alle schauen aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Bond-Filme. In einigen Fragen gehen die Meinungen weit auseinander, in anderen sind sie sich erstaunlich einig.
Bond-Girls: nur der Name bleibt in Erinnerung
Über 50 Bond-Girls gab es bisher. Mit praktisch allen hatte Bond ein sexuelles Verhältnis. Über 30 von ihnen starben im Laufe der Geschichte. Und wurden vom Agenten in den allermeisten Fällen innerhalb von Sekunden vergessen. Sie sind austauschbar.
In den früheren Filmen trugen die Frauen kuriose Namen wie die bereits erwähnte Pussy Galore, Holly Goodhead (etwa: «Holly Blästgut»), Xenia Onatopp («Xenia Obenauf») oder Octopussy («Achtfach-Muschi»).
Nicht nur die Namen werden in feministischen Kreisen kritisiert. Sondern auch ihre Funktion als Liebhaberin des männlichen Agenten. Dass sie nur da seien, um ihm zu Diensten zu sein. Was bereits ihre Bezeichnung als «Bond-Mädchen» beweise.
«Bond-Girls gehören zur Fantasie»
Johanna Gerdes und Roland Hasler sind Mitglieder im Schweizer James-Bond-Club. Sie finden: Bond-Girls gehören zu den Filmen wie schnelle Autos oder exotische Orte.
«Die Frauen machen einen Teil der Faszination aus», sagt Roland Hasler. «Es gehört zu dieser Männerfantasie, jede schöne Frau für sich gewinnen zu können.» Johanna Gerdes ergänzt: «Natürlich sind einige Szenen aus heutiger Sicht fragwürdig. Doch es gibt schon in den alten Filmen sehr starke, selbstbewusste, eloquente Bond-Girls. Die haben nicht einfach alles mit sich machen lassen.»
Sie sind Agentinnen, Pilotinnen, Wissenschaftlerinnen. Sie schiessen, prügeln, spionieren und vollführen wilde Stunts.
«Der Umgang mit Frauen ist hochproblematisch»
Das sei eine Alibi-Übung, findet Christoph May vom Institut für Kritische Männerforschung. Er befasst sich in Kursen, Seminaren und Vorträgen mit Männerbildern in Filmen und Serien und dem Einfluss, den diese auf die Gesellschaft haben. Den James-Bond-Filmen steht er mehr als kritisch gegenüber.
«Der Umgang mit Frauen ist hochproblematisch», sagt er. Denn auch die auf den ersten Blick toughen Frauen seien reine Männerfantasien der Drehbuchautoren. «Egal, wie stark sie sind, sie müssen immer unterliegen. Am Ende muss Bond ja der Stärkste sein. Und dass sie dann alle mit ihm im Bett landen müssen, ist total sexistisch.»
Ein solches Frauenbild in Filmen zu zementieren, habe Auswirkungen auf die reale Gesellschaft – gerade in Filmen wie der 007-Reihe, die eine grosse Reichweite haben.
«Es gibt viel passivere weibliche Figuren»
Dass man die Bond-Girls auch ganz anders betrachten kann, zeigt Film- und Kulturwissenschaftlerin Marcy Goldberg. Zwar findet auch sie es fragwürdig, dass fast alle Frauen in den Bond-Filmen irgendwann mit dem Agenten Sex haben müssen.
Trotzdem sagt sie: «Gerade bei den alten Filmen könnte man sich auch freuen, dass es die Bond-Girls gegeben hat.» Denn: In vielen anderen Action-Filmen der 1960er- und 1970er-Jahre, ja eigentlich bis heute, gebe es überhaupt keine bedeutenden Frauenrollen. Wenn, dann seien es brave Mütter und Hausfrauen, keine kämpferischen Doppelagentinnen. «Wenn man in die Kinogeschichte schaut, gibt es viel passivere weibliche Figuren als die Bond-Girls», sagt Marcy Goldberg. Die Frauenrollen in den 007-Filmen seien komplexer als ihr Ruf.
Ein fortschrittliches Bond-Girl
Als positives Beispiel nennt sie Holly Goodhead in «Moonraker» aus dem Jahr 1979. James Bond betritt ein Büro auf der Suche nach einem gewissen Dr. Goodhead. Als die Wissenschaftlerin sich meldet, zieht er erstaunt eine Augenbraue hoch. «Eine Frau?», fragt er verwundert.
«Bond outet sich hier zwar selbst als Sexist», sagt Marcy Goldberg. «Doch die Rolle von Dr. Goodhead ist sehr fortschrittlich. In anderen Filmen aus dieser Zeit gab es kaum weibliche Wissenschaftlerinnen.»
Projektionsfläche für Männerfantasien, die zugleich stets Unterlegenen – und gleichzeitig auch Vorreiterinnen in der Kinogeschichte: Die Bond-Girls können aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Doch wie steht es um den Helden selbst? Die Expertinnen und Experten sind sich einig: Ein Gentleman ist Bond sicher nicht. Die Bond-Fans sind dabei etwas gnädiger als der Männerforscher.
Bereits Flemings Romane sind voller Klischees
Roland Hasler findet: «James Bond ist nicht per se ein Sexist. Eher ein Chauvinist mit sexistischen Tendenzen. Ihn als Held oder Vorbild anzuschauen, ist problematisch. Er ist eine Fantasie, die im echten Leben sicher nicht umgesetzt werden soll.»
Die Filmfigur beruht auf den Romanen des Briten Ian Fleming. Sie erschienen zwischen 1953 und 1966. «Das ist wirklich Schundliteratur», sagt Kulturwissenschaftlerin Marcy Goldberg. «Sexistisch, rassistisch, kolonialistisch, voller Klischees.»
Dagegen seien bereits die ersten Filme sehr abgeschwächt gewesen. «Die Macher haben schon Anfangs der 1960er-Jahren versucht, die Filme hochstehender und moderner zu machen und den Dinosaurier-Bond eher augenzwinkernd darzustellen», sagt Marcy Goldberg.
Johanna Gerdes vom James-Bond-Fanclub findet: «Man muss immer im Hinterkopf behalten, dass die Filme teilweise vor Jahrzehnten gedreht wurden. Damals war manches noch okay, was heute überhaupt nicht mehr geht.»
Die Bond-Darsteller und die Frauen
Bond bleibt Bond
«Der Sexismus ist heute vielleicht subtiler geworden», sagt Männerforscher Christoph May. «Aber gross verbessert hat sich Bond nicht. Er ist immer noch dieser Mann, der Probleme nicht ausdiskutiert, sondern mit Gewalt löst. Und alle Frauen ins Bett bekommen will.»
Eine Szene aus «Skyfall» (2012) hat es ebenfalls in viele Sexismus-Zusammenschnitte geschafft. Es geht um Sévérine, die als Sexsklavin verkauft wurde und jetzt dem Bösewicht zu Diensten stehen muss. Bond befreit sie. Und steigt dann ungefragt zu ihr in die Dusche. Ziemlich taktlos, wenn man ihre Vorgeschichte bedenkt, finden viele.
Verkörperung der «toxischen Männlichkeit»
«Ein ‹Hallo, darf ich mitduschen?› wäre hier sicher angebracht gewesen», sagt Bond-Fan Johanna Gerdes. «Aber ich habe den Film mehrere Male gesehen, und diese Szene ist mir nie negativ aufgefallen. Wenn man sucht, findet man halt überall einen Schwachpunkt.»
Marcy Goldberg findet, zu sehr verändern könne man Bond gar nicht. «Wenn er plötzlich nett zu Frauen wäre, aber weiterhin mordet, wäre das seltsam. Filme bilden immer auch die Gesellschaft ab. Unsere realen Probleme in den Filmen zu verschweigen, ist keine Lösung. James Bond verkörpert nun mal diese toxische Männlichkeit.»
Phoebe Waller-Bridge weckt Hoffnungen
Wenn 007 ein sexistischer Macho war und ist, was bedeutet das für die nächsten Filme? Wie passt die Figur in die MeToo-Ära? «Es wäre eigentlich für alle besser, wenn James Bond von der Leinwand verschwinden würde», findet Männerforscher Christoph May. «Er trägt nichts Positives zu unseren aktuellen gesellschaftlichen Problemen bei.»
Hoffnungen setzt er in Phoebe Waller-Bridge. Die 36-Jährige hat unter anderem das Drehbuch zur Erfolgsserie «Fleabag» geschrieben. Für den 25. Bond-Film «No Time to Die» wurde sie als Co-Autorin engagiert. Als zweite Frau in der 007-Geschichte. Die erste war Johanna Hardwood in den frühen 1960er-Jahren: Sie schrieb an den Drehbüchern zu «Dr. No» und «From Russia With Love» mit.
«Es müssen neue Menschen ran»
«Ich hoffe, dass Phoebe Waller-Bridge ihren Humor in das Ganze bringt», sagt Christoph May. «Das ist die einzige Möglichkeit: James Bond ironisch zu betrachten, ihn zu parodieren, sich über diese Männlichkeit kaputtzulachen.»
Er wünscht sich, dass in Zukunft nur noch aufgeweckte Frauen, Queers und People of Colour an die Bond-Drehbücher und auf den Regiestuhl gelassen werden: «Weisse Hetero-Männer können Bond nicht ins Jetzt transferieren. Sie werden immer das Gleiche reproduzieren, da sie eine männliche Sicht auf den Feminismus haben. Es müssen neue Menschen ran.» Bei allen bisherigen Bond-Filmen haben übrigens Männer Regie geführt.
Bond soll diverser werden
Filmwissenschaftlerin Marcy Goldberg hofft, dass Bonds Umfeld moderner wird. Dass Frauen noch wichtigere, anspruchsvollere und diversere Rollen bekommen. Und dass es überhaupt mehr Vielfalt bei der Darstellung der Geschlechter geben wird.
Roland Hasler und Johanna Gerdes würden ebenfalls gerne mehr starke Frauenrollen in den 007-Filmen sehen. Dass Bond in Zukunft von einer Schauspielerin verkörpert wird, wie es einige fordern, glauben sie aber nicht. «Das wäre dem Anliegen der Frauen nicht förderlich», findet Roland Hasler. «Die erfolgreiche Rolle eines Mannes einfach einer Frau überzustülpen, löst keine Probleme.»
Wie kann man 2021 mit den alten James-Bond-Filmen umgehen? Indem man den Agenten abschreibt und sich neue, modernere, diversere Filmheldinnen und Filmhelden sucht. Oder indem man sich beim Schauen der alten Filme bewusst macht, dass man hier kein Vorbild vor sich hat. Sondern einen Macho aus vergangener Zeit mit sehr veralteten Rollenbildern.