Ein Jahr lang hat Stefan Näf als 14-Jähriger gespart, um mit der Swissair fliegen zu können. Den Dreiecksflug Basel-Zürich-Genf-Basel unternahm er mit einem Kameraden. «Das hat uns eine völlig neue Welt eröffnet, das Abheben, die Welt von oben sehen, das hatte Suchtpotential», erinnert sich der heute 63-Jährige: «Wir sparten sofort für den nächsten Flug.»
Das Swissair-Fieber hat ihn bis heute nicht mehr losgelassen. In seinem Haus hat Näf eine riesige Sammlung, samt einem selbst zusammengebauten Cockpit einer Swissair-DC-9.
Swissair-Sammler war Näf schon als Kind: In zahlreichen Briefen bat er die Airline um Werbepostkarten, Prospekte und alles, auf dem Swissair draufstand. «Die Swissair war immer sehr stark im visuellen Auftritt, das musste man einfach sammeln.»
Pfeil schlägt Seepferdchen
Die Swissair habe mit ihrer Werbung stets Massstäbe gesetzt und sich mit dem visuellen Auftritt von anderen Fluggesellschaften abgehoben. Das sagt Historiker Benedikt Meyer, der die Geschichte der Schweizer Fluggesellschaften aufgearbeitet hat.
«Das Logo in den 1950er-Jahren zum Beispiel hatte einen wahnsinnig starken Wiedererkennungseffekt», erklärt Meyer. Der Swissair-Pfeil sei simpel, mache aber sofort klar, dass es um eine Fluggesellschaft gehe. «Bei anderen musste man länger rätseln: Air France beispielsweise hatte lange ein Seepferd als Logo».
Der Flughafen als Spielplatz
Robert Grob (79) und Charles Sagne (75) sammelten schon um 1950 leidenschaftlich Swissair-Werbematerial. Sie wuchsen in Kloten in einer Siedlung für Swissair-Angestellte auf. Sagnes Vater bildete Swissair-Piloten aus und hatte am Flughafen eine wichtige Funktion. Grobs Vater leitete die Swissair-Motorenwerkstatt.
Der Flughafen war ihr Spielplatz, Sicherheitsvorkehrungen wie heute gab es damals noch nicht. «Meine Lieblingsplätze waren die Orte, wo man als Kind nicht hätte hingehen sollen», sagt Grob lachend.
Die Swissair spielte für beide von klein auf eine grosse Rolle. «Am Stubentisch diskutierten wir regelmässig über die Swissair», sagt Sagne. Grob betont, dass er stolz gewesen sei, dass der Vater bei der Swissair arbeitete.
Nach München fliegen statt nach Zürich fahren
Die ganze Familie habe profitiert, zum Beispiel von vielen Freiflügen. «Mein Vater sagte manchmal: Komm, wir gehen nach München einkaufen statt nach Zürich. Das ist günstiger.»
Dass er auf Drängen des Vaters hin Koch wurde, und nicht einen technischen Beruf bei der Swissair erlernen konnte, bedauert Grob bis heute. Charles Sagne dagegen wurde nach einer Ausbildung bei der Flugsicherung Pilot bei der Swissair, flog bis kurz vor dem Grounding.
Medienrummel um die Frau im Cockpit
Eine ähnliche Karriere wie Sagne machte in den 1980er-Jahren Gabrielle Ritter (60). Die Fliegerei hat sie schon als kleines Mädchen fasziniert. «Die damaligen Hostessen fand ich ganz adrett, aber das Cockpit hat mich viel mehr angezogen.» Aber weil die Swissair noch keine Frauen zur Pilotenausbildung zuliess, wurde sie erst einmal Fluglotsin.
Als die Swissair 1984 auch Frauen ins Cockpit lassen wollte, bewarb sie sich sofort. Ihre Selektion zur Ausbildung an der Schweizerischen Luftverkehrsschule löste einen Medienrummel aus.
Das Interesse war riesig, obwohl die Crossair zu diesem Zeitpunkt mit Regula Eichenberger schon eine Frau im Cockpit hatte. Das zeige den hohen Stellenwert der Swissair, ist Ritter überzeugt.
Ritters erster Flug als Co-Pilotin machte dann gar international Schlagzeilen und war nach kurzer Zeit ausgebucht. Doch nicht alle waren begeistert: Es gab Passagiere und einzelne Kapitäne, die nicht mit einer Frau im Cockpit fliegen wollten.
Grosse Verbundenheit mit der Crew
Ihrer Leidenschaft für die Fliegerei und ihrer Verbundenheit zur Swissair tat dies keinen Abbruch. «Wir hätten für diese Firma alles gemacht», betont Ritter. Im Gegenzug habe die Swissair ihren Angestellten einen einmaligen Lifestyle geboten. Sie schwärmt von langen Aufenthalten im Ausland mit der Crew.
Dort erlebte sie das von Angestellten oft zitierte Zusammengehörigkeitsgefühl besonders intensiv. Man sei sich als Swissair-Angestellte stets bewusst gewesen, wie privilegiert man war. «Die Swissair war für uns eine Traumfirma. Sie hatte weltweit einen dermassen guten Ruf und wir waren einfach alle wahnsinnig stolz, dass wir bei dieser Firma arbeiten durften.»
Der Stolz einer Nation
Stolz auf die Swissair waren in den goldenen Zeiten nicht nur ihre Mitarbeitenden. Die Swissair galt als Stolz der ganzen Nation. Historiker Benedikt Meyer sagt, eine eigene Fluggesellschaft habe eine grosse Symbolkraft: «Die Swissair verband uns mit der weiten Welt. Plötzlich konnte man in Zürich ein- und in Beirut, Manila oder Kuala Lumpur wieder aussteigen.» Auch wenn sich breite Teile der Bevölkerung das noch sehr teure Fliegen in den 1950er- und 1960er-Jahren noch nicht leisten konnten, hätten sie stolz von «unserer Swissair» gesprochen.
Aus den gleichen Gründen seien die nationalen Airlines auch in anderen Ländern sehr populär gewesen. Besonders an der Schweiz war, dass die Fluggesellschaft gemessen an der Bevölkerung überproportional gross war. «Sie war etwa ein Drittel so gross wie Air France, British Airways oder die Lufthansa und etwa zehnmal so gross wie die Austrian Airlines.»
Die Schweiz in die Welt tragen
Die Swissair habe wegen ihrer Grösse, aber auch ihres guten Rufes für den internationalen Erfolg der Schweiz gestanden, so Meyer. «Sie war pünktlich, freundlich, zuverlässig und erfolgreich – genau so, wie wir Schweizerinnen und Schweizer uns selber auch gerne sehen».
Im Vergleich mit anderen international erfolgreichen Schweizer Unternehmen war sie sichtbarer. Mit dem Schweizerkreuz auf den mächtigen Flugzeugen trug die Swissair die Schweiz auch symbolisch in die weite Welt hinaus.
«Man sah, wie die Swissair Jahr für Jahr neue Destinationen erschloss, wie man das Schweizerfähnchen an neuen Orten der Welt setzten konnte», sagt Meyer. Das habe den internationalen Erfolg der Schweiz gezeigt und auch die breite Bevölkerung stolz gemacht.
Das deckt sich mit den Äusserungen von Robert Grob. Er braucht das Wort Stolz immer wieder, wenn er über die Swissair spricht. Bis heute sei er stolz darauf, ein Swissair-Kind zu sein und auf «die Schweizer Fluggesellschaft, die unsere Perfektion in die Welt hinausgetragen hat». Auch Swissair-Sammler Stefan Näf hält fest: «Die Swissair war eine Botschafterin der Schweiz in der ganzen Welt».
Das Grounding liess die Pilotin aus allen Wolken fallen
Entsprechend gross war die Betroffenheit, als es am 2. Oktober 2001 zum Grounding kam. Robert Grob sagt, für ihn sei eine Welt untergegangen. Seinem Kindheitsfreund Charles Sagne, damals frisch frühpensioniert, war schon nach dem 11. September klar: «Das bricht uns das Genick. Die Swissair hat da schon aus dem letzten Loch gepfiffen. Den Effekt der Anschläge vom 11. September auf die Passagierzahlen konnten wir nicht mehr verdauen.» Das Grounding habe ihn emotional sehr getroffen.
Gabrielle Ritter war beim Grounding mittendrin. Die Pilotin wartete in Kloten im Cockpit auf die Starterlaubnis und wurde immer wieder vertröstet, bis dann die Hiobsbotschaft vom Grounding kam. «Wir sind buchstäblich aus allen Wolken gefallen, wir standen schockiert und versteinert da und konnten nicht glauben, dass diese mächtige Firma am Boden ist.»
Es folgten bange Zeiten voller Existenzängste, bis klar war, dass sie für die Swiss weiterfliegen konnte. Es sei aber nie mehr das Gleiche gewesen. «Die Swissair war wirklich etwas Besonderes. Das hat damit zu tun, dass das Fliegen früher etwas Besonderes war. Heute ist es ja wie Tramfahren.»
«Die Swissair ging zum richtigen Zeitpunkt unter»
An die Swissair denke sie trotz des bitteren Endes mit positiven Gefühlen zurück, sagt Ritter. Für ihren Pilotenkollegen Charles Sagne trüben die letzten 10 Jahre das positive Gesamtbild etwas: «Es bleibt das Gefühl, dass wir im Stich gelassen wurden – wir als ganze Nation.»
Für Robert Grob dagegen überwiegen die schönen Erinnerungen. «Ich kann das nicht loslassen, diesen Stolz werde ich bis zum Schluss in mir tragen.» Die Swissair, das spürt man, lebt in ihnen weiter. Der Zauber ist für sie nicht verflogen.
Historiker Benedikt Meyer beobachtet dies ebenfalls immer wieder, wenn er mit Menschen über die Swissair spricht. Er vermutet, dass der Mythos auch darum ungebrochen ist, weil es die Swissair eben nicht mehr gibt: «Sie ging quasi zum richtigen Zeitpunkt unter. Ich bin ziemlich sicher, wenn es die Swissair heute noch gäbe, sie wäre nicht mehr diese grandiose Fluggesellschaft von früher.»
Die Fliegerei habe sich stark verändert, sagt Meyer: «Es ist heute ein anderes Geschäft. Im Rückblick kann man nun sagen: ‹Als es die Swissair noch gab, war alles besser.› Das erklärt ein Stück weit die Swissair-Nostalgie.»
Wenn der Mythos verblasst
In dieser Swissair-Nostalgie schwebt Sammler Stefan Näf bis heute - wenn er in seiner kompletten Sammlung von Flughandbüchern blättert oder an seinem Cockpit werkelt. Im Cockpit aus Originalteilen von Swissair-DC-9-Maschinen stecken unzählige Stunden Arbeit und etwa 30'000 Franken.
Näf hat das Cockpit aus Einzelteilen zusammengebaut, die er im Internet ergattert. Einen grossen Teil hat er auch aus ausrangierten Flugzeugen ausgebaut, die in der Wüste Kaliforniens stillgelegt wurden.
Näf ist überzeugt, dass der Mythos Swissair irgendwann verblassen wird: «Für die junge Generation ist die Swissair kein grosser Begriff mehr. Die Begeisterung wird wohl abnehmen.»
Anders sieht das Näf bei seiner Generation und bei sich selbst: «Meine Begeisterung für die Swissair lebt nach wie vor. Auch 20 Jahre nach dem Grounding ist es für mich eine lebendige Airline. Jetzt halt bei mir zu Hause und nicht mehr auf dem Flughafen.»