Reichtum und exzessives Party-Leben, Sex als Wert an sich, ein ausgeprägter Sinn für Styling und Selbstinszenierung: Der Barock erzählt Geschichten von heute im Gewand von gestern. Geschichten, in denen sich unsere (geheimen) Sehnsüchte widerspiegeln: Verführungskraft, Leidenschaft, ungehemmter Narzissmus.
Die Epoche erzählt aber auch Erfolgsgeschichten vom Einfallsreichtum des Menschen. Der Barock hat Vieles erfunden: Das Fernrohr, die Dampfmaschine, Papiergeld und verrückte Perücken – ganz zu schweigen von den unendlich vielen Neuerungen in Kunst und Architektur. Zu den nachhaltigen Errungenschaften des Barock zählt aber zweifelsohne der Gummischlauch. Erfunden wurde er nicht etwa, um die prunkvollen Schlossgärten zu bewässern. Das wäre zu banal – der Barock liebt es verspielt.
Eine kackende Ente: exemplarisch für den Barock
Die Idee zum Gummischlauch kam dem französischen Ingenieur Jacques de Vaucanson. Vaucanson kam als Erfinder von Automaten zu Ruhm. Als sein Meisterwerk gilt die mechanische Ente von 1738: Sie konnte schnattern und flattern, aber vor allem auch Körner picken, chemisch verdauen und ausscheiden. Für dieses hübsche Spielzeug erfand Vaucanson nun den Gummischlauch für den Verdauungstrakt.
Seine Geschichte steht exemplarisch für den Barock: Sie offenbart eine ungehemmte Lust am Spielerischen, verbunden mit grossem Erfindungsgeist. Der Barock will Staunen bewirken, er liebt den Special-Effect. Bei einer Blech-Ente nicht weniger als in den grossen Klosterkirchen mit ihren vielen überraschenden Perspektiven und Lichteffekten.
Inszenierung wird zu einem höchsten Wert. Vom Barockgarten bis zum höfischen Fest. Inszenierung in der Kunst, aber auch Selbst-Inszenierung im Reigen der Libertinage, die an den Höfen zelebriert wird.
Kunst und Kitsch zur gleichen Zeit
Der Begriff «Barock» leitet sich ab aus dem Portugiesischen «barroco», das ungleichförmige Perlen bezeichnet. Dieses «Ver-rückte» oder «Ungleichmässige» prägt die Epoche. Gut und Böse, grossartig und grottig liegen nah beieinander. Hier die überwältigende Innenarchitektur der Klosterkirche Einsiedeln, dort seine überkitschigen, rosafarbenen Putten. Hier die radikal neuen, theatralischen Gesten im Werk Caravaggios, dort die kleinen aufgemalten Herzchen auf den Wangen der weissgepuderten Galane.
Was weit voneinander entfernt scheint, hat doch eines, für die Epoche Wesentliches gemein: Mit allen Mitteln wird versucht zu verführen. In der feudalen Gesellschaft ist es ein sexuelles Spiel; in den Künsten geht es darum, die Menschen in ihren Gefühlen zu erreichen. Sei es düster und unheimlich wie bei Caravaggio und Rembrandt, sinnlich und aufgewühlt wie bei Rubens, prachtvoll und monumental wie Berninis Hochaltar im Petersdom oder der von ihm entworfene weltberühmte Platz davor.
Barock verlockt
Auch die unendlich vielen, kleineren katholischen Kirchen in ganz Europa zeugen von diesem Willen, die Gläubigen zu begeistern, sie in den Bann zu ziehen. Licht strahlt, Gold glänzt, der Stuck scheint zu tanzen. Als wichtiges Mittel der Gegenreformation setzt Barock eine Bewegung in Gang, die sich mit allen Finessen bemüht, den Menschen etwas zu bieten: Sie verlockt, erstaunt, überwältigt. Werbeagenturen sollten Barockseminare zur Pflicht machen.
Die Gelehrten streiten, bis wann die Epoche des Barock dauert. Endet sie auf dem Schafott der französischen Revolution 1789 oder doch schon mit dem Aufkommen des Rokoko? Wie auch immer, der Barock dauert um die 200 Jahre und verbreitet sich über ganz Europa. Dementsprechend vielfältig ist seine Kunst. Eines aber ist ihm immer gemein: Er schafft Stimmungen und Emotionen. Barock ist das Hollywood von gestern. Er will einen packen – und sei es mit einem Gummischlauch.