Avignon, Edinburgh, Wien, Salzburg, Berlin, Düsseldorf, Brüssel – alle grossen Tanz- und Theaterfestivals der nächsten Wochen mussten ihre diesjährige Ausgabe absagen.
Einige Festivals werden bestehende Produktionen statt im Theater im digitalen Raum zeigen. Das renommierte Festival «Theater der Welt», das nur alle drei Jahre in einer anderen deutschen Stadt stattfindet, wurde schon Mitte März um ein ganzes Jahr verschoben. Andere überlegen sich, nationale Schwerpunkte zu setzen.
Zahlreiche Festivals, ein Netzwerk
Wichtige internationale Festivals wie das Kunsten Festival des Art in Brüssel oder die Wiener Festwochen hielten sich lange noch ein Türchen offen, ob sie nicht wenigstens das eine oder andere Projekt in einer anderen Form oder später werden zeigen können.
Eine verständliche Strategie: Gerade die Absage von Festivals, die vor allem internationale Uraufführungen und Premieren präsentieren, lösen globale Kettenreaktionen aus, die weit in die Zukunft weisen.
Der internationale Festivalmarkt ist ein so komplexes wie fragiles Netzwerk von Absprachen, Koproduktionen und Abhängigkeiten. Wenn ein Knotenpunkt darin wegfällt, sind auch die nächsten bedroht.
Unsichere Zukunft
Auch wenn die Reglementierungen im öffentlichen Raum in den nächsten Wochen in verschiedenen Ländern gelockert werden, sind grössere Menschenansammlungen wie sie Sommerfestivals darstellen noch länger kaum denkbar.
Was passiert mit den angekündigten Theater- und Tanzproduktionen, die zurzeit in Delhi, Rio, Zürich oder in Paris nicht geprobt werden können, weil die Künstlerinnen im Shutdown sind? Werden sie später entstehen können? Sind sie dann noch aktuell?
Im Moment steht zudem in den Sternen, wann internationales Touren überhaupt wieder möglich sein wird. Frühestens ab Mitte Juni ist es in der Schweiz möglich, Einreisevisa für die nächsten Wochen und Monate zu beantragen. Wer danach – unter welchen Bedingungen – wird reisen können: Ein Fragezeichen.
Europäische Privilegien
Die ungleich verteilten Privilegien auf den internationalen Märkten werden die aktuelle Krise verschärfen. Das wird auch die globale Theater- und Tanzszene treffen. Wie werden internationale Künstler aus ökonomisch schwächeren Ländern, die vom europäischen Markt abhängig sind und hier ihre Koproduktionspartner haben, überleben?
Kulturelle Rettungsschirme, wie sie in der Schweiz oder Deutschland für nationale Kulturschaffende gerade aufgespannt werden, gibt es für internationale Künstler nicht. Rücklagen werden die wenigsten haben.
Orte des Austauschs
Sommerfestivals sind traditionellerweise kulturelle Feste. Orte der Begegnung und des internationalen Austauschs.
Viele der grossen internationalen Sommerfestivals wie das «Festival d’Avignon» oder das «Edinburgh International Festival» sind in Umbruchsituationen, etwa nach dem 2. Weltkrieg, entstanden. Ihr Ziel war es, den Menschen nach der Kriegserfahrung einen kulturellen Austausch zu ermöglichen. Sie waren Orte der kulturellen Diplomatie.
Dieser internationale Austausch wird für die Gesellschaft auch nach der jetzigen Krise existenziell sein: als künstlerische Inspiration, als soziales Versprechen und als kultureller Auftrag.