Modezar, «Kaiser Karl», graue Eminenz: Namen für den deutschen Designer Karl Lagerfeld, der am 19. Februar 2019 mit 85 Jahren verstarb. Rein Wolfs, der Intendant der Bundskunsthalle in Bonn, kuratierte 2015 eine grosse Ausstellung über den Modeschöpfer. Er hat einen Menschen kennen gelernt, der lieber seine Fotografien ins Zentrum rückte – und sich nie alt fühlen wollte.
SRF: Wie hat Karl Lagerfeld es geschafft, nach dem Zweiten Weltkrieg eine solche Karriere in Paris aufzubauen ?
Rein Wolfs: Das war alles andere als einfach. Aber Karl Lagerfeld war frech und er hatte schon damals viel Selbstbewusstsein. Er hat an einem Wettbewerb mitgemacht und prompt für seinen Mantel den ersten Preis gekriegt.
Lagerfeld war über 60 Jahre präsent in der Modewelt . Kann man von einem persönlichen Stil von Karl Lagerfeld sprechen?
Ja und nein. Lagerfeld zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass er vieles gleichzeitig machen konnte.
Ich habe über die Materialbesessenheit von Lagerfeld gestaunt.
Er hat nicht nur für Chanel designt, sondern auch jedes Jahr zwei Kollektionen für Fendi gemacht und für Chloé gearbeitet. Zudem hatte er seine eigene Marke.
Heute würden wir das multiple Identitäten nennen. Das hat mich fasziniert: Wie ein von Lagerfeld designtes Fendi-Kleid sich im gleichen Jahr derart unterscheiden kann von einem Chanel-Kleid.
Gab es etwas, worüber Sie bei der Vorbereitung zur Ausstellung gestaunt haben?
Über Lagerfelds Materialbesessenheit. Das hat sich an der Art und Weise gezeigt, wie er zeichnete. Wie er mit dem Stift über das Blatt gefahren ist.
Lagerfeld war immer am Designen. Er war morgens um fünf Uhr schon per Fax erreichbar. Wenn ich bei Karl Lagerfeld war, hat er sofort den Stift zur Hand genommen und gezeichnet. Lagerfeld hatte den ganzen Tag eine schöpferische Qualität.
Es heisst, Karl Lagerfeld soll im persönlichen Umgang nicht immer einfach gewesen sein. Wie haben Sie das erlebt?
Lagerfeld wollte zuerst gar keine retrospektive Ausstellung über seine Mode machen.
Am liebsten hätte er seine Fotos und Filme gezeigt. Alles, was neben der Mode entstanden ist. Wir aber wollten uns auf seine Mode konzentrieren und sie als Retrospektive darstellen.
Lagerfeld wollte um keinen Preis 60 Jahre zurückblicken. Sonst würde er sich alt fühlen, sagte er. Er hat auch geschworen, dass er sich die Ausstellung nicht ansehen wolle – und dabei ist es geblieben.
Hätte Lagerfeld gerne mehr Aufmerksamkeit als Künstler bekommen?
Er sah sich als Universalgenie. Ein Mensch, der in jedem Bereich kreativ war. Lagerfeld konnte sehr gut fotografieren. Er war aber kein Ausnahme-Fotograf, sondern ein Ausnahme-Modedesigner.
Lagerfeld wollte seine Mode nie von der Strasse wegnehmen und ins Museum bringen. Denn so wäre sie nicht mehr zeitgemäss.
Karl Lagerfeld wurde im Laufe seines Lebens zunehmend zu einer Kunstfigur. Wenn man den Mythos um seine Person weglässt – was war seine schöpferische Leistung?
Karl Lagerfeld konnte noch ungeahnte Wünsche an den Zeitgeist anpassen. Was er mit dem «kleinen Schwarzen» von Chanel gemacht hat, ist unglaublich.
Er hat eine verstaubte Marke wieder salonfähig und zu einer der hipsten Marken schlechthin gemacht. Gleichzeitig hat er die klassische Kundschaft bei Laune gehalten.
Lagerfeld hat es geschafft das Klassische immer wieder zu modernisieren und neu zu präsentieren.
Das Gespräch führte Irene Grüter.