Die Macher des ersten Heidi-Films haben es sich nicht leicht gemacht. Die Praesens Film hat einen Regisseur ausgesucht: Luigi Comencini. Der weiss sehr genau, dass der Erfolg des Films mit einer idealen Besetzung steht oder fällt. Comencini castet 2000 Kinder, um – wie die NZZ am 24. Juni 1952 schreibt – ein «kleines, lebhaftes, klug-scheues Mädchen» zu finden.
Heidi beklagt eine Schildkröte
Den spannenden Endspurt gewinnt «ein artiges Landkind, dessen Steckbrief folgende Angaben enthält: ‹Elsbeth Sigmund, 10 Jahre alt, von Kempthal, geht in die 4. Klasse, hat eine ausgeprägte Abneigung gegen das Rechnen, liebt Tiere, die sich herumtragen lassen, betreut einen Kanarienvogel und beklagt eine Schildkröte, die vor einem Monat gestorben ist.»
Die ist es! Die wird das Heidi schlechthin und mit ihr wird Thomas Klameth, «neunjährig, von Küsnacht» der Peter und der Alp-Öhi ist - logisch - Heinrich Gretler. Wer sonst!
Die NZZ und der liebe Gott
Die NZZ jubelt am 17. November 1952: «An diesem Film haben der liebe Gott und die beiden Ehepaare Siegmund von Kempthal und Klameth von Küsnacht den grossen Anteil: ersterer, weil von ihm die herrlichen, von Emil Berna so wirkungsvoll photographierten Bündner Berge stammen, die letzteren, weil wir ihnen zwei Kinder verdanken, die vor der Kameralinse nicht kokett wurden.»
Geschätzt wird die Werktreue, dass «Erzählpoesie in Filmwirklichkeit» übersetzt wurde. Da wird noch ein wenig über Dramaturgie herumgemeckert, aber letztlich ist auch der Kritiker stolz aufs eigene Land, über das im Film gesagt wird, der Herrgott habe es wohl am Sonntag gemacht.
Heidi in Farbe
Am 10. März 1955 vermeldet die NZZ: «Der Welterfolg des ‹Heidi› in Schwarz und Weiss hat die Praesens-Film dazu verleitet, ein ‹Heidi› in Farben zu drehen.» Der erste Schweizerfilm in Farben ist der Heidi-Farbfilm. Wie es bei den Dreharbeiten im Studio Rosenhof genau zugegangen ist davon erzählt eine Radioreportage von grosser Situationskomik aus dem September 1954, die hier erstmals seit ihrer Erstausstrahlung zu hören ist. Da erfährt man auch, warum man mit der literarischen Vorlage so frei umgegangen ist.
Sendungen zum Thema
An eben dieser mangelnden Werktreue hängt sich dann mancher Leserbriefschreiber auf. Zu viel Erfundenes, zu modern, zu viel Klamauk. Da heisst es in der «Weltwoche» vom 18.3.1955: «... und eine Gouvernante, die kopfüber in einen Kuhdreck fällt – das sind so die Höhepunkte dieses Films. Und da es auch die Stellen sind, die beim Publikum Stürme der Begeisterung entfesseln, so ist anzunehmen, dass die kommenden Heidi-Filme (auf Breitschirm, dreidimensional, denn die Farbe haben wir nun ja!) ebenfalls ausgiebig mit Kuhdreck operieren werden, denn das Publikum will es ja so haben. Das Publikum will die Schweiz als Superfarben-Glanzpostkarte sehen, mit recht viel Gletschern und Wasserfallen, mit Geissli im Vorder-, Murmeli im Mittel- und Gemsen im Hintergrund. Es lebe das Publikum! Tiefer geht es nun wohl nicht mehr.»
Die Episode mit dem Kuhdreck ist natürlich erfunden, kommt aber gut an. Im fernen Amerika läuft Heidi mit 300 Kopien. Der Film funktioniert auch international und beschert volle Kassen. Franz Schnyder bekommt in der Schweiz ein paar Seitenhiebe, da werde «Bauerntheater, Laientheater und manchmal Kabarett» gespielt, aber von heute aus gesehen, dürfte Schnyder das verkraftet haben.
Und heute?
Heidi ist wiedermal neu verfilmt worden, diesmal mit Bruno Ganz, der neunjährigen Anuk Steffen und dem 13-jährigen Quirin Agrippi. Möglichst nahe am Text habe man sich gehalten, wird Bruno Ganz zitiert. Aber nicht nur im Kino gibt's ein Wiedersehen auch im Fernsehen: Die Heidi-Serie aus den späten 70er-Jahren kommt wieder. Heidi hat wieder mal Hochkonjunktur.
Spyris Text mag manchem antiquiert vorkommen, aber die Geschichte ist einfach nicht totzukriegen: In Heidi ist so viel Existentielles angelegt, das muss man Johanna Spyri lassen: der Tod der Eltern, das Verlassensein und -werden, Verlorensein und Freundschaft, Heimatgefühl und Fremde – das rührt, als Buch, als Film, als Zeichentrick. Und selbst wenn (!) – es antiquiert sein sollte, Heidis Sorgen, Ängste und ihre grossen Fragen werden bleiben. Die sind zeitlos menschlich.