Kurt Weill gilt als einer der grössten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Von Opern bis zu Schlagern komponierte er so ziemlich alles. Und als er nach Amerika emigrierte, schrieb er auch noch Musicals und Jazzsongs, von denen es viele in das American Songbook schafften. Weill gilt als Allround-Genie, ein musikalisches Chamäleon. Irgendjemand sagte einmal, wäre er nach Indien emigriert, dann hätte er indische Musik komponiert.
Link
Seine Oper «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» ist die fulminante Kapitalismuskritik schlechthin. Sie ist der Soundtrack zu den «Wolves of Wall Street», zu den aktuellen Wirtschafts- und Bankenkrisen, zu platzenden Spekulationsblasen und entfesselten Märkten und Regierungen.
The Young Gods, die Schweizer Post-Industrial-Band von Weltruf, haben Anfang der 90er-Jahre eine Platte produziert mit Weill-Songs. Franz Treichler von The Young Gods sagt, dieser Kurt Weill fasziniere ihn: «Der ist ein Pionier der Pop-Musik. Nicht in dem Sinn, in dem man heute Pop verwendet sondern wie in den 60er- und 70er-Jahren. Populäre Musik, die die Leute auf der Strasse anspricht, die politisch ist, manchmal für eine ganze Generation spricht. Weill war der Vorreiter.» Er habe so ziemlich alles revolutioniert.
Es gebe für Weill keine üblichen Einteilungen von U- und E-Musik, sagt Treichler. Weill habe mal gesagt, es gebe nur gute und schlechte Musik. Mehr gebe es nicht zu sagen.
Weill ist und bleibt modern – immer
Weill hat auf das klassische Personal gepfiffen. Da tauchten keine Könige auf, sein Personal waren Huren, Diebe und Mörder. So hat er die Unmoral im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges auf die Bühne geholt. Mit einer scheinbar uralten Form war er tagespolitisch aktuell. Das trifft auf die «Dreigroschenoper» so sehr zu wie auf den «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny». «Das scheint nur alt zu sein, ist aber ganz neu, experimentell, es hat alle Ingredienzien, um modern zu sein.»
The Young Gods spielen Weill
Damals, 1989 «haben wir bei einer Auftragsproduktion der Stadt Genf mitgemacht. Wir haben live Songs von Weill auf dem Festival du Bois de la Batie gespielt und später nochmals in Fribourg. Das hat uns nicht mehr losgelassen. Wir haben beschlossen, eine Studioplatte daraus zu machen». Und weil die Erben von Brecht und Weill über das Werk der beiden wachen, mussten die «Young Gods» ihre Interpretation genehmigen lassen.
«Wir haben die Songs eingeschickt. An die Kurt Weill Foundation. Und gewartet. Irgendwann kam dann die Nachricht: ‹Geprüft› und die Zusage, die Songs dürften veröffentlicht werden. Auf der Platte sind gut versteckt ein paar musikalische Zitate unserer beiden vorherigen Platten. Entweder hat man das bei der Foundation überhört, oder wir passten einfach rein in den Weill-Kosmos».
Für Franz Treichler war das die zweite Begegnung mit Weill: «In der Schule hatten wir einmal eine Deutschlehrerin. Die hat ein halbes Jahr nichts anderes mit uns gemacht, als die «Dreigroschenoper» zu besprechen: Textinterpretation, Kompositionstechnik, Kontrapunkt, Harmonielehre. Wirklich gute Schule.»
Dieser Weill geht Franz Treichler nach: «Wir haben die Platte vor 25 Jahren gemacht und vor zwei Wochen schreibt mir jemand aus Australien, dass er durch uns Weill kennen gelernt habe. Und jetzt hat er sich alles von ihm angehört, was er kriegen konnte. 25 Jahre später. Der findet, Weill sei der beste Song-Writer.»
Weill ist kein deutscher Komponist – zweimal «Nein»
Treichler erzählt, dass er das Timing bei Weill so umwerfend finde, in der Kunst wie im Leben. Einen Tag nachdem Weill Nazi-Deutschland verlassen habe, hätten die Nazis sein Haus gestürmt. Da war er weg.
Im «Life Magazine» hat Weill über sich gesagt: «Obwohl ich in Dessau am 2. März 1900 geboren bin, würde ich mich nicht als deutschen Komponisten bezeichnen. Die Nazis übrigens auch nicht.» In Deutschland wurden Weills Werke als «entartete Kunst» verbrannt.
Kurt Weill stirbt am 3. April 1950 in New York. Auf seinem Grabstein steht eine Strophe von Maxwell Anderson aus «Lost in the Stars», das sie zusammen geschrieben hatten:
This is the life of men on earth / Out of darkness we come at birth / Into a lamp-lit room, and then / Go forward into dark again.