Am 30. April 1964 eröffnete die Expo in Lausanne ihre Tore. In der ganzen Schweiz läuteten die Kirchenglocken für die Landesausstellung. Welch ein Gebimmel! Was bleibt vom Lärm dieser patriotischen Feier mitten in der Hochkonjunktur?
Wer da war, antwortet: Am besten in Erinnerung bleibt Rolf Liebermanns Symphonie «Les Echanges – Komposition für 156 Maschinen». Ein Knaller.
Noch heute spektakulär: Wie der Zürcher Komponist und Hamburger Operndirektor Liebermann Populäres mit Hochkulturellem verband.
Im Pavillon für Waren und Werte «Les Echanges» ratterten, hämmerten und bimmelten 156 Maschinen, welche die Besucher aus Büros, Ladengeschäften oder aus der Eisenbahn kannten. Es handelte sich etwa um Schreibmaschinen, Rechenmaschinen, Registrierkassen, Klebestreifenbefeuchter oder«Telephon-Apparate» .
Die Maschinen-Symphonie
Diese damals alltäglichen Maschinen spielten eine rhythmisch komplexe, nun ja: «Symphonie»? Auf der Rückseite der Schallplattenhülle hat der gespreizte Text Staub angesetzt:
«Der zweite Abschnitt, ‹Allegro vivace›, fusst auf dem rhythmischen Muster des Mambos, dem sich zunehmend neue rhythmische Figuren überlagern. Die ‹Stretta› greift sodann auf Tempo und Charakter der ‹Introduzione› zurück, kontrapunktisch aber jene mit Elementen, die aus dem ‹Allegro› stammen.»
Doch die Musik klingt weder abgehoben noch veraltet. Es war Avantgarde für die Masse.
Techno für die ganze Familie
Dieses Stücklein von knapp drei Minuten Dauer traf den geschichtlichen Moment. Technik und Ästhetik begegneten sich auf Augenhöhe. Und der Fortschrittsglaube der Sechzigerjahre schloss auch den Wunsch mit ein, eine Kunst für alle zu schaffen. Eine Musik zum Beispiel, die sowohl Kenner wie Laien begeistert. Zum andern war die Maschinensymphonie in Lausanne aber auch ihrer Zeit voraus. Maschinen, die von einer Maschine gesteuert werden: Techno für die ganze Familie.
Was heute selbstverständlich anmutet – Musik ohne Menschen –, war damals eine Sensation. Alles wie von Geisterhand geführt! Wegweisend war Liebermanns Arbeit auch, weil sie die «Persönlichkeit» der Maschinen berücksichtigte. Was Liebermann am Reissbrett entwarf, taugte nicht, wie er selbst erkannt hatte. Die Apparaturen hatten ihre eigenen Rhythmen. Liebermann musste ihnen zuhören, bevor er für sie komponieren konnte.
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Pimp my Schreibmaschine
Wie jeder gute Pädagoge holte Liebermann das beste aus seinem Orchester heraus. Auch Maschinen müssen lernen: Zusammen mit dem Ingenieur Fritz von Ballmoos und dem Akustiker Hans Harder schraubte er an den Geräten herum. Nach dem Motto «Pimp my Schreibmaschine» baute man zum Beispiel Resonanzkörper für die Büroapparaturen, damit man mehr Klang aus dem Körper holte.
Man half der Realität etwas nach, damit das Klingeln der Registrierkasse gute Kunst wurde. Wie man mit Maschinen Musik macht, die den Mensch nicht verneint, das ist noch heute die Frage, die jede elektronische Musik von Rang irgendwann stellt.
«Kulturplatz» über Computermusik Made in Switzerland
Ein Antwort enthält die Expo-Musik von 1964 bereits: Man muss mit den Fehlern der Maschine spielen lernen. Ratten vom Ufer des Genfersees hatten die Kabel angefressen, als der Bundesrat zu Besuch war. Und der Lochstreifen, der das Stück steuerte, wollte auch nicht immer. Auch Maschinen sind nur Menschen! Eine Einsicht, die am Anfang steht einer langen und erfolgreichen Tradition elektronischer Musik aus der Schweiz.