Wir sind im Alltag selten gestimmt Kunst wahrzunehmen. Wir sind beschäftigt, wollen zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen oder nach Hause. Bestenfalls sind wir zu Fuss unterwegs und könnten innehalten. Aber häufig sitzen wir in Fahrzeugen und bewegen uns zu schnell für die «verlängerte Wahrnehmung» (Viktor Šklovskij), welche Kunstwerke uns abfordern wollen.
Nur gelegentlich sind wir als Nicht-Touristen offen für künstlerische Bereicherungen – lesen die Schrift im Bodenbelag am Bellevue von Laurence Weiner beim Warten auf das Tram, werfen einen zweiten Blick auf die Granitskulptur von Max Bill an der Bahnhofstrasse. Ohne geschützten musealen Umraum, im städtischen Alltag, stehen Kunstwerke in Konkurrenz mit Autos, Signalen, Schaufenstern, Werbung und mit den viel grösseren Häusern – dies gilt insbesondere auch für die grosse Kunst, die oftmals klein daherkommt.
Mit dem Riesenrad verwandt
Kunstwerke haben es im öffentlichen Raum doppelt schwer: erstens um verwirklicht und zweitens um wahrgenommen zu werden. Letzteres ist ein Paradox, weil die Objekte ja allen und jederzeit zugänglich sind. An physischer Grösse wird es dem Hafenkran zumindest nicht mangeln. Dieses Objekt werden wir von weit sehen können und müssten es nicht einmal aufsuchen, um einen Eindruck zu gewinnen. Grösse und Sichtbarkeit sind sein Merkmal und seine Qualität.
Nicht nur mit seiner Höhe ist er Baukranen und Riesenrädern verwandt, auch seine Stahlfachwerk-Konstruktion und seine beschränkte zeitliche Präsenz teilt er mit ihnen. Die Eigenschaft, zuerst einmal ein technisches Gerät zu sein, das am Limmatquai parkiert ist, wird den Hafenkran trotzt seiner Höhe «transparent» machen – man wird ihn zwar nicht übersehen, aber wegdenken können.
Er wird also entgegen aller Befürchtungen kein Stachel im Fleisch der Stadt sein, auch keine Verschandelung und keine bemühte Stadtverschönerung. Natürlich wird er hiesige Sehnsüchte nach Weite und Meer weder wirklich wecken noch stillen, zumal Hafenkrane häufig an Flussmündungen und nicht direkt am Meer stehen.
Animalische Züge
Aber auch das wird man der stählernen Konstruktion schliesslich positiv anrechnen können, dass sie die Konzepterläuterungen der Künstlergruppe «Zürich Transit Maritim» nicht mehr braucht und auch gänzlich andere Sichtweisen erlauben wird: Zum Bespiel ein punktueller rostender Kontrast zur gepflegten, geschützten Altstadt zu sein, wo strenge Baugesetze nur noch kleine Retuschen zulassen. Oder einen Verweis auf den künftigen städtischen Gegenpol der Innenstadt, auf Zürich West, darzustellen, wo Krane Zürich weiterbauen. Oder einfach nur eine technische, schöne, funktional geformte Struktur zu sein – mit animalischen Zügen.
Meine Einschätzung zum Schluss: Der Hafenkran wird nicht unbedingt in die Geschichte der bedeutenden Kunstwerke im öffentlichen Raum eingehen. Und bezüglich touristischer Vermarktbarkeit werden die gut gemeinten Stadtdekorationen in Form von Kühen, Bären und Löwen leider vermutlich besser abschneiden. Ja auch in einer Abwägung, was denn erstrebenswerter gewesen wäre, der Hafenkran oder das «Nagelhaus» am Escher Wyss Platz, wäre der Kran unterlegen, wenn es nach mir gegangen wäre.
Der Kran wird ein grosses und wahrscheinlich doch gar nicht so auffälliges Element im Stadtraum sein, ungewohnt und doch nicht ganz unvertraut; zwar mit Skepsis aufgenommen, aber doch nicht unwillkommen.
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