In Berlin weht traditionell ein rauer Wind. Im Februar, wenn jeweils das wichtigste Publikumsfestival der Welt stattfindet, sowieso. Das grösste Lob, das ein waschechter Hauptstädter je äussern würde, ist vermutlich: «Da kamma nich’ meckan!»
Doch gemeckert wurde im Vorfeld der 70. Festivalausgabe reichlich. Vor allem über die neue, zweiköpfige Berlinale-Spitze, die nicht annähernd so viel Charisma besitze wie ihr Vorgänger Dieter Kosslick.
Bei der Präsentation der Wettbewerbsteilnehmer wirkte Chatrian darum sichtlich gestresst. Seine holprig vorgetragenen Einleitungssätze machten klar, dass es wohl noch eine Weile dauern wird, bis er der deutschen Sprache mächtig ist.
Als es dann um die Filme ging, flüchtete er sich rasch ins Englische. Was er – sympathisch selbstkritisch – wie folgt kommentierte: «I don’t want to ruin your beautiful language!» («Ich will schliesslich nicht eure schöne Sprache ruinieren!»)
Die Schweiz schlägt Netflix
6'800 Filme hatten sich um einen Platz auf der 70. Berlinale beworben. 340 wurden selektioniert; das sind rund 60 weniger als in den vergangenen Jahren. Netflix-Produktionen sucht man im schlankeren Programm vergeblich. Aus qualitativen Gründen, wie Chatrian betont, und nicht etwa, weil man den Streaming-Giganten ablehne.
Schweizer Filme wurden dagegen gleich mehrere selektioniert. Das Krebsdrama «Schwesterlein» von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond ergatterte sich gar einen von 18 Startplätzen im Wettbewerb.
Das letzte Mal war dies 2012 einer helvetischen Produktion gelungen: «L’enfant d’en haut». Regisseurin Ursula Meier gewann damals sogar einen Silbernen Bären, den Spezial-Preis der Jury.
Belastete Vergangenheit
Ein anderer Silberner Bär, der sogenannte Alfred-Bauer-Preis für filmische Innovation, wurde in den letzten Tagen kurzerhand umbenannt. Dies, nachdem die «Zeit» neue Erkenntnisse über die Vergangenheit des ersten Berlinale-Direktors publiziert hatte.
Alfred Bauer soll eine wichtige Rolle in der Reichsfilmintendanz von Propagandaminister Goebbels gespielt haben. Mit der Unterstützung des Instituts für Zeitgeschichte will das Festival nun Bauers Rolle im NS-Machtapparat ergründen.
Frauen-Power auch in den Nebensektionen
Zurück zu erfreulicheren Dingen: In der Sektion «Panorama» markieren gleich zwei preisgekrönte Regisseurinnen für die Schweiz Präsenz: Andrea Štaka, Gewinnerin des Goldenen Leoparden 2006 und Susanne Regina Meures, die 2016 mit dem Zürcher Filmpreis bedacht wurde.
Štakas jüngster Spielfilm «Mare» feiert am Sonntag in Berlin Weltpremiere, zwei Tage vor Meures’ Doku «Saudi Runaway». Die mit dem Handy gefilmte Flucht einer Frischvermählten aus Saudi-Arabien hatte vor Kurzem bereits am Sundance Film Festival für Furore gesorgt.
Die beiden SRF-Koproduktionen im «Panorama» zeigen: Trotz Misstönen im Vorfeld darf aus Schweizer Sicht einiges erwartet werden von der Jubiläumsausgabe.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 20.2.2020, 06.01 Uhr