Er ging komplett auf in seinen Rollen – genau so, wie er es bei seiner Mentorin Stella Adler gelernt hatte: Jede Geste, jede Gefühlsregung kam aus seinem Innersten. Seine Blicke wirkten, als würde er unmittelbar seine Seele blossstellen.
Texte klar und deutlich auszusprechen, das lag ihm hingegen weniger – Hauptsache, die Emotion stimmte.
Er plauderte einer Anekdote zufolge auf Filmsets gerne mit Technikverantwortlichen über das Wetter und das Wochenende. Erst wenn ihm seine Textzeilen mit der gleichen Selbstverständlichkeit über die Lippen kamen, durfte gedreht werden. Apropos Textzeilen: Er lernte sie nur ungern auswendig und verlangte oft nach hochgehaltenen Kartonschildern.
Ein Mann der Ansprüche
Marlon Brando verlangte vieles: Er verlangte Rollen nach Mass, er verlangte umgeschriebene Drehbücher, er verlangte teils exorbitante Gagen und er verlangte vollste Aufmerksamkeit für seine Kunst.
Nach seinem kometenhaften Aufstieg in Hollywood mit der Verfilmung des Tennessee-Williams-Theaterstücks «A Streetcar Named Desire» konnte er sich dies leisten – denn alle waren in seinem Bann. Alle wollten ihn.
Die gleiche Unangepasstheit jedoch, die ihn zum Prototyp des jungen Wilden und zum Publikumsidol werden liess, versetzte ihm schon in den frühen 60er-Jahren einen Karriereknick: Weil er als schwierig galt, besetzten ihn die Studios vorwiegend in mittelmässigen Produktionen. Brando sah sich gekränkt und zahlte es mit gleicher Münze heim: Manchmal spielte er nur abwesend – oder bewusst schlecht.
Nie langweilig
Rückblickend lässt sich sagen: Brando ist sogar in Filmen, die er selbst als unbedeutend abtat, ein Hingucker. War ihm ein Stoff oder eine Figur nicht tiefgründig genug, konterte er mit seinem Erfindungsreichtum: Er hantierte mit Requisiten, schnitt Grimassen oder überraschte mit sprachlichen Ticks. Egal, in welchem Kram er mitspielte: Langweilig wurde es nie.
In Erinnerung geblieben sind diejenigen Filme, in denen es zwischen Regie und Schauspiel funkte und Brando bereit war, die Gänze seines Talents einzubringen. Erstaunlicherweise funktionierte das besonders gut mit jungen, fordernden Regisseuren: Für Bernardo Bertolucci legte er in «L’ultimo tango a Parigi» (1972) einen beispiellosen Seelen-Striptease hin, der noch heute schmerzt beim Zusehen.
Späte Sternstunden
Einen weiteren überraschenden Verbündeten fand er im jungen Francis Ford Coppola: In «The Godfather» (1972) liess sich Marlon Brando Jahrzehnte älter schminken und verlieh dem bedrohlichen Mafia-Paten eine unvergessliche Fistelstimme.
Auch in Coppolas überehrgeizigen Vietnam-Epos «Apocalypse Now» übertraf er sich selbst: Übergewichtig, mit geschorenem Haupt im Gegenlicht und an der Grenze zur Verständlichkeit nuschelnd schrieb er nochmals in wenigen Minuten Filmgeschichte.