Helge Schneiders denkwürdiges Regiedebüt «Texas» ist wohl der schrägste Western, der je gedreht wurde. Co-Regisseur Ralf Huettner beschreibt den Film treffend als «Mischung aus Dadaismus, Skurrilität, absoluten Plattheiten und intelligenten Assoziationsketten». Ein echter Schneider eben!
Die hanebüchene Handlung bringt die selbsternannte «singenden Herrentorte» wie folgt auf den Punkt: «Doc Snyder kommt nach 30 Jahren zurück, um bei seiner Mutter die Wäsche zu waschen. Tod und Verderben begleiten jeden seiner Schritte.»
Herrlich gewollter Dilettantismus
Wie in allen Schneider-Filmen ist die Story Nebensache. Was zählt, ist der Charme des Unfertigen. Dieser verleiht dem Ganzen eine dem Jazz verwandte Live-Atmosphäre, wie Sachbuchautor Peter Kemper konstatierte.
Schneider inszenierte eine absurde Geschichte, die sich mit jedem Drehtag mehr vom Drehbuch entfernte. Gefilmt wurde preisbewusst auf der Freilichtbühne der Karl-May-Festspiele im Sauerland.
Den Part von Doc Snyders Mutter übernahm ein Schauspieler. Die meisten anderen Akteure waren Laien. Auch den fünf Nachtwächtern des Festspielgeländes gab Schneider zum Entsetzen seines Co-Regisseurs eine Rolle.
Schneiders Schnitt wird zum Ritt
So richtig anarchisch wurde «Texas» trotzdem erst im Schnitt. Helge Schneider gab alles, um den gedrehten Szenen jeglichen Rest von Normalität auszutreiben. Von diesem «Gemetzel» setze er die Presse noch während der Postproduktion ins Bild:
«Wir müssen ein bisschen gegen das gefilmte Material anarbeiten. Das war alles viel zu brav, zu perfekt, zu langweilig gedreht. Egal! Jetzt verwenden wir direkt das Ausschussmaterial, die Szenen, wo irgendwie was danebengegangen ist – die interessieren mich viel mehr!»
Von der Presse zerfetzt, vom Publikum geliebt
«Texas» ist eine Komposition aus misslungenen Takes, die keine Anstalten macht, dies zu verbergen. Die Presse war entsetzt von Helge Schneiders Nonchalance. Die populäre Fachzeitschrift Cinema gab dem Film beispielsweise nur einen von fünf Sternen. Und stellte zudem die böse rhetorische Frage: «Ist so viel Stuss schon wieder Kunst?»
Für die Schweizer Sonntags-Zeitung war der Wald-und-Wiesen-Wirrwarr gar «der geschmackloseste Western aller Zeiten». Die Zuschauer liessen solche Verrisse kalt. Animiert von Helge Schneiders Hitsingle «Katzeklo» (sic!) strömten sie 1993 in die Lichtspielhäuser. Und sorgten mit 1,1 Millionen Kino-Tickets dafür, dass auch der Film zum Kassenschlager wurde.
Nüchtern betrachtet, ist der Erfolg von Helge Schneiders Kino ein Mysterium. Weil Schneider mit «Texas» im Grunde das Gegenteil einer massentauglichen Komödie ablieferte. Witze im herkömmlichen Sinne sind in dieser einzigartigen Mischung aus Filmschrott und Filmschatz schlichtweg nicht zu finden.
Schneider’sche Unschärferelation
Schneider selbst nennt seine garantiert Gag-freie Komik «eine Philosophie, die immer mehr Menschen verstehen». Und fügt schelmisch an: «Die lachen über etwas, was überhaupt nicht lustig ist.»
Tatsächlich geht von seinem Werk eine Magie aus, die sich sämtlichen Erklärungsversuchen entzieht. Einige haben es trotzdem versucht. Und sind grossartig gescheitert. Wie Harald Mühlbeyer, der in Anspielung auf den Physiker Heisenberg einmal folgende These formulierte:
«Die Schneider’sche Unschärferelation tritt zutage, wenn die Witzteilchen von einer Sinndestruktionswelle überrollt werden, die sie zugleich selbst sind.»
Helgeland – ein eigener Kosmos
Die Wochenzeitung Die Zeit erkannte in Helges Humor unlängst gar eine Form von Exorzismus: «Es sind die Geister seiner kleinbürgerlichen Herkunft, die er austreibt. In dieser spukhaften Mischung aus schriller Melancholie und offenkundiger Verletzlichkeit kann sich das Publikum selbst entdecken, lustvoll und lachend.»
Fakt ist: Helge Schneider polarisiert. Und er inspiriert – sofern man einen Zugang zu seinem komischen Kosmos findet. Jenen, die mit «Texas» nichts anfangen können, sei abschliessend Schneiders «Orang Utan Klaus» empfohlen. Eine lautmalerische Erzählung, in der es nur so «splattatert» und «bommelt».
Wer diese «Sakraloperette» langweilig findet, kann definitiv sagen: Helge Schneider ist nichts für mich. Alle anderen werden erkennen: Hier geht es buchstäblich um nichts, also um alles. Frisch eingeweiht, ist man danach reif für «Texas»: diesem unvergesslichen Stück Kino von einem anderen Planeten.