«Das Fenster steht sperrangelweit offen. Es regnet hinein. Das Baby liegt auf dem Boden statt in seiner Wiege. Auf der Wiege thront die Katze.» Es ist der blanke Horror, den Patricia Schulz hier sorgfältig schildert.
Die ehemalige Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau beschreibt allerdings keinen Hollywood-Schocker. Sie analysiert ein reales politisches Plakat gegen das Frauenstimmrecht: «Es herrscht völliges Chaos. Eine totale Katastrophe. Weil die Mutter stimmen gegangen ist.»
Die Botschaft prangt in blutroten Lettern über dem buchstäblich plakativen Schreckensszenario: «Die Mutter treibt Politik!» Kaum zu glauben, dass diese Angstmacherei tatsächlich ernst gemeint war. Ja schlimmer noch: Sie funktionierte.
Chronische Neinsager
Egal ob auf kantonaler oder nationaler Ebene: Immer wieder wurde das Frauenstimmrecht abgelehnt. Die Liste ist absurd lang, was Dokumentarfilmer Stéphane Goël mit wiederkehrenden Nein-Tafeln illustriert.
Allein zwischen 1919 und 1927 scheiterten neun kantonale Abstimmungen am rein männlichen Stimmvolk. Dasselbe triste Bild in den 40er- und 50er Jahren: 15 Versuche, 15 Niederlagen.
Auf die Frage, wieso Schweizer Männer ihren Gattinnen das politische Mitspracherecht verwehren, antworteten diese oft: Frauen seien gar nicht daran interessiert, stimmen und wählen zu gehen.
Angst vor gleichen Pflichten
Verbreitet wurde das sexistische Argument ausgerechnet von einer Frau: Gertrud Haldimann, Präsidentin der Schweizer Liga gegen das Frauenstimmrecht.
Die gab im Brustton der Überzeugung zu Protokoll: «Ich will nicht dieselben Rechte haben wie die Männer, weil ich auch nicht dieselben Pflichten erfüllen möchte.»
Die gleiche Meinung vertrat lange auch der Katholische Frauenverein. Doch 1957 änderte dieser seine Parole. Die Weichen für die Annahme des Frauenstimm- und Wahlrechts auf nationaler Ebene waren somit gestellt. Dachten zumindest viele.
Unendlicher Kampf
1959 kam erstmals eine entsprechende Bundesvorlage vors Volk. Zur grossen Enttäuschung der meisten Frauen legten zwei Drittel der Männer ein Nein in die Urne.
Erst 1971 drehte der Wind: 57 Prozent der Stimmberechtigten befürworteten nun das Frauenstimmrecht. «Danke für die Rosen!» titelte der Blick – mit einer nackten Blondine auf dem Cover.
Stéphane Goël lässt seine Heldinnenreise allerdings nicht mit diesem Triumph weiblicher Beharrlichkeit enden. Sie ist bloss eine von vielen Stationen auf dem langen Weg ins Bundeshaus. Vor dem engagierte Frauen auch heute noch für Geschlechterparität kämpfen. Mit dem aktuellen Schlachtruf: «Gleicher Lohn für gleiches Tun; vorher werden wir nicht ruh’n!»
Kinostart: 17. Juni 2021