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71. Filmfestival Cannes «Ich versuche den Film als normale Kinogängerin zu sehen»

Die Schweizer Regisseurin Ursula Meier vergibt den renommierten Nachwuchspreis Caméra d’Or am Filmfestival Cannes. Vorbereitet hat sie sich auf diese Aufgabe nicht.

Ursula Meier

Regisseurin

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Bekannt wurde Ursula Meier durch ihre Spielfilme «Home» (2008), für den sie zweimal den Schweizer Filmpreis bekam, und «L’enfant d’en haut» (2012). Der Film wurde mit drei Schweizer Filmpreisen ausgezeichnet. An der Berlinale gewann er einen Silbernen Bären. In Cannes präsidiert sie die siebenköpfige Jury des Nachwuchs-Preises Caméra d'Or.

SRF: Sie haben Erfahrung als Jurorin. Unter anderem waren Sie 2012 in der Jury des Filmfestivals von Venedig. Was bedeutet die Aufgabe als Jury-Präsidentin des Nachwuchspreises Caméra d’Or für Sie?

Ursula Meier: Das ist eine grosse Ehre! Es ist die aufregendste Jury des Festivals. Denn bei Erstlingswerken ist alles möglich. Die Filmemacher gehen Risiken ein. Sie müssen ein bisschen verrückt sein und dürfen experimentieren.

Ich versuche, den Film als normale Kinogängerin zu sehen. Ich will ihn nicht analysieren, mich nicht zu sehr konzentrieren.

Ausserdem kennen wir als Jury die Filmemacher noch nicht. Es können also echte Entdeckungen dabei sein.

Wie haben Sie sich auf Ihre Aufgabe vorbereitet?

Gar nicht. Ich lese wenn möglich nicht mal die Festivalkataloge. Ich möchte nicht wissen, was über einen Film geschrieben wird, woher er kommt, wer der Regisseur oder die Regisseurin ist. Denn das weckt gleich Erwartungen.

Sie schauen sich in Cannes rund 20 Erstlingswerke an. Worauf achten Sie besonders?

Ich versuche, den Film als normale Kinogängerin zu sehen. Ich will ihn nicht analysieren, mich nicht zu sehr konzentrieren.

Oft wird jungen Filmemachern gesagt, sie sollen nicht zu viel in ihren ersten Film stecken. Ich finde: Steckt alles rein!

Ein Film ist dafür gemacht, ihn zu erleben, mit allen Sinnen. Anschliessend muss ich den Film verdauen. Darauf möchte ich auch als Jury-Präsidentin achten: Dass wir nach der Vorführung genug Ruhezeit haben, bevor wir diskutieren. Viele Filme müssen erst wirken.

Was macht denn ein gutes Erstlingswerk aus?

Es soll überraschen. Oft wird jungen Filmemachern gesagt, sie sollen nicht zu viel in ihren ersten Film stecken. Ich finde: Steckt alles rein! Heute wird überall gespart, beim Film sollte man grosszügig sein.

Sie präsidieren die Jury der Caméra d’Or, Schauspielerin Cate Blanchett diejenige des Hauptpreises Palme d’Or. Ausser in den Jurys sind die Frauen beim Filmfestival Cannes aber untervertreten: Gerade mal drei der 21 Filme in der offiziellen Selektion stammen von Filmemacherinnen.

Das ist schockierend. Aber es ist nicht nur die Schuld des Festivals. Das Problem beginnt viel früher: In Frankreich beispielsweise erhalten Regisseurinnen 40 Prozent weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen. Auch werden den Frauen nie so grosse Budgets zugesprochen wie Männern.

Es gibt sehr viele Ungleichheiten. Doch jetzt wird die Welt langsam darauf aufmerksam.

Caméra d'Or

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Die Caméra d’Or wird seit 40 Jahren vergeben. Mit ihr wird in Cannes jeweils das beste Erstlingswerk eines Filmemachers ausgezeichnet. Im Rennen: Alle Debütfilme, die in den Kategorien Sélection officielle, Quinzaine des Réalisateurs und Semaine de la Critique laufen. Der renommierte Preis ging schon an spätere Regie-Grössen wie Jim Jarmusch («Stranger Than Paradise», «Only Lovers Left Alive») oder Steve McQueen («Hunger», «12 Years a Slave»).

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