Es gibt Filmschaffende, die haben eine so deutliche Handschrift, dass ein einziges Bild genügt, um ihre Filme zu erkennen.
Zum Beispiel der Österreicher Ulrich Seidl. Nach der Vorführung seines neuen Films «Rimini» an der Berlinale hörte man allenthalben: «Ein typischer Seidl halt».
Filme mit Cringe
Man erwartet vom österreichischen Regisseur bitterböse und ins Groteske verzerrte Blicke auf das Banale. Oder grade umgekehrt: die Suche nach dem Banalen im Absurden.
Ob es sich dabei um eine Dokumentation oder - wie bei «Rimini» - um einen Spielfilm handelt, macht keinen Unterschied: Die Bildsprache ist immer ähnlich.
Seidls Filme zwingen zum Hinschauen, wenn man eigentlich lieber nicht mehr schauen möchte, sie haben viele «cringe»-Momente. Das Jugendwort des letzten Jahres bezeichnet etwas, das Fremdscham auslöst.
Zwei Brüder, zwei Filme
«Rimini» beginnt nicht im gleichnamigen italienischen Urlaubsort, sondern in einem Altersheim in der österreichischen Provinz: Dort lebt der demente Vater der beiden Brüder Richie und Ewald.
Um Richie, der als Schlagersänger Richie Bravo in Rimini lebt, wird es in diesem Film gehen. Um seinen kleinen Bruder Ewald in Seidls nächstem Film «Sparta», der bereits abgedreht ist.
Der halbfrische Sänger und Witwentröster
Richie lebt in einer etwas abgerockten Villa in Rimini, wohin er nach der Beerdigung seiner Mutter zurückkehrt. Es ist Winter, der Sommerferienort an der adriatischen Riviera ist neblig, bald werden Strand und Strassen der Ferienstadt schneebedeckt sein. Richie Bravo singt in fast leeren Hotellobbys für österreichische Reisegruppen, die fast ausschliesslich aus älteren Frauen bestehen.
Nachts verdient er sich als «Witwentröster» noch etwas zu seinen lächerlich niedrigen Gagen dazu. Sein trauriges Leben, das er im Vodka ertränkt («Den riecht man nicht», erklärt er seinem Bruder), plätschert etwas ziellos dahin, als plötzlich eine junge Frau vor ihm steht: seine Tochter, die er zuerst gar nicht wiedererkennt.
Sie will Wiedergutmachung. Geld natürlich, aber das ist nicht das Wichtigste. Sie will gesehen werden. Und genau das ist schwierig für Richie, der ja nicht mal mehr sich selbst wirklich sehen kann.
Richie berührt
«Rimini» ist zwar in seiner Anlage, mit seinen Bildern, Settings und den immer etwas zu langen Szenen tatsächlich ein «typischer Seidl». Aber das «cringe»-Gefühl gerät bald in den Hintergrund, weil dieser Richie in seiner ganzen Urgewalt als alternder Schlagersänger und in seiner Traurigkeit als einsamer Mann wirklich zu berühren vermag.
Seidl schrieb diese Rolle, zusammen mit Drehbuchautorin Veronika Franz, dem Schauspieler Michael Thomas auf den Leib. Der stolziert, wankt, schlurft und singt sich, angezogen mit Trägerhemden unter einem Seehundfellmantel, durch das winterlich triste Rimini, das nur auf den ersten Blick hässlich ist, dann aber eine ganz eigene Poesie entfaltet.
Eine Familie, die keine ist
Manchmal springt der Film wieder kurz nach Österreich, wenn Richie im Altersheim seinen dementen Vater besucht, der vom inzwischen verstorbenen deutschen Schauspieler Hans Michael Rehberg gespielt wird.
Der Vater hört und singt gern deutsche Lieder. Und wenn die Lieder etwas allzu deutsch werden - so deutsch, dass sie heute verboten sind - dann singt Richie einfach etwas lauter einen Schlager von der «amore» drüber.
«Rimini» ist ein Familiendrama über eine Familie, die keine ist, über Traurigkeit, Einsamkeit, Verzweiflung. Aber auch in Rimini ist nicht immer Winter.