Keine Stars und eine hässliche Baugrube vor dem Palazzo: Noch vor wenigen Jahren sah es schlecht aus für die «Mostra del Cinema». Immer öfter machte Hollywood einen Bogen ums Lido.
Statt in Venedig zeigten die grossen Player ihre Filme am praktisch gleichzeitig stattfindenden Festival in Toronto. Venedig stand das Wasser bis zum Hals.
Kurz vor dem Aus
2010 markierte so etwas wie den Tiefpunkt. In jenem Jahr schloss das Hotel des Bains, einst die Lieblingsherberge der Stars. Das Festival verlor damit ein grosses Stück seiner Identität.
Thomas Manns Geschichte «Der Tod in Venedig» spielt im besagten Hotel. Regielegende Luchino Visconti drehte die Verfilmung des Mann-Klassikers gleich am Originalschauplatz.
Von Benito Mussolini bis Martin Scorsese
Acht Jahre nach der Schliessung öffnet das legendäre Hotel nun wieder seine Tore. Wenn auch vorerst nur als Ausstellungsort.
Die Filmfestspiele von Venedig zeigen hier pünktlich zur 75. Ausgabe eine Fotosammlung, die den Wandel der Kino-Biennale dokumentiert: Die faschistischen Anfänge, die Blüte in den 1950er Jahren, der langsame Abstieg in den 1970ern. Danach stand Venedig lange im Schatten von Cannes.
Das Schweizer Fernsehen berichtete 1993 über die 50. Festivalausgabe nicht ohne Spott: «In Venedig geht es drunter und drüber. Und nicht wie in Cannes medienwirksam die rote Treppe rauf. Venedig übt den Umgang mit Stars noch. Der kleingewachsene Scorsese muss sich seinen Premierenplatz erkämpfen.»
Symbol für Venedigs Wiederauferstehung
Richtig zu drehen begann der Wind erst in den letzten Jahren, nachdem sich die Infrastruktur verbessert hatte. Inzwischen gilt Venedig in Hollywood als ideale Rampe, um potentielle Oscarfilme international zu lancieren. «La La Land» und «The Shape of Water» sind nur die jüngsten Beispiele für diesen Trend.
Direktor Alberto Barbera ist stolz, mit seiner Arbeit zur Revitalisierung Venedigs beigetragen zu haben: «Die Wiedereröffnung des Hotel des Bains für unsere Ausstellung ist ein klares Zeichen: Die neuen Besitzer werden es schaffen, die alte Schönheit zurückzubringen. Nun dauert es nicht mehr lange, bis das Hotel wieder seinen Betrieb aufnimmt. Und das eigentliche Herz des Festivals wieder zu schlagen beginnt.»
Für vieles zu haben, sofern die Qualität stimmt
Wichtigster Grund für Venedigs zweiten Frühling ist Barberas liberale Haltung. Dem Wandel in der Filmbranche begegnet er offensiv und mit offenen Armen.
So haben in der Selektion von Venedig – anders als in Cannes – auch Netflix-Filme wie Alfonso Cuaróns «Roma» Platz. Gleich sechs Produktionen des Streaming-Giganten sind hier zu sehen.
Problematisch fürs Kino findet Barbera das nicht: «Netflix produziert momentan viele interessante Filme. Inszeniert werden sie von den stärksten Regisseuren der Gegenwart. Ich sehe nicht ein, warum wir diese nicht einladen sollten.»
«Wir sind die Avantgarde»
Noch progressiver zeigt sich das Festival in Sachen virtuelle Wirklichkeit: Seit letztem Jahr existiert für Virtual-Reality-Produktionen gar ein eigener Wettbewerb.
Berlin und Cannes sehen in dieser Hinsicht ziemlich alt aus, wie Alberto Barbera lächelnd konstatiert: «Venedig hat die anderen A-Festivals diesbezüglich abgehängt. Wir sind die Avantgarde!»
Moderner Mix für neuen Erfolg
Virtual Reality, Netflix und viele grosse Namen. Das älteste Filmfest der Welt erstrahlt zum Jubiläum in neuem Glanz.
Sogar das lange geschlossene Hotel des Bains könnte künftig wieder zum Hotspot werden. Erfrischende Aussichten für das einst so marode Venedig.