«And the Oscar goes to …» Nein, wir haben uns nicht in der Veranstaltung geirrt. Klar kämpfen die 21 Filme, die in Venedig im Wettbewerb laufen, primär um den Goldenen Löwen. Doch wer die Festivalsaison der letzten Jahre mitverfolgt hat, weiss: Venedig ist die ideale Startrampe für Oscaranwärter.
Die grossen Academy-Awards-Abräumer der jüngeren Vergangenheit feierten alle auf dem Lido Premiere: «Roma», «The Favourite», «The Shape of Water», «La La Land», «Spotlight», «Birdman» und «Gravity». Ein Ende dieses Trends ist nicht in Sicht. Zumal auch aus dieser Festivalausgabe mindestens drei Filme auf Goldmännchen-Jagd gehen dürften.
Hollywoods Hafen
Branchen-Insider räumen zum Beispiel Todd Philipps Batman-Ableger «Joker» gute Oscar-Gewinnchancen ein. Triumphiert die Superschurken-Geschichte in der Sparte «Bester Film», würde sie Geschichte schreiben: «Joker» wäre die erste Comic-Verfilmung, die einen wirklich wichtigen Academy Award gewinnt.
Andere amerikanische Auguren glauben, dass der Science-Fiction-Film «Ad Astra» nach den Sternen greifen könnte. Weil Brad Pitt als Star immer noch mehr ziehe als «Joker»-Darsteller Joaquin Phoenix.
Man darf gespannt sein, wer im US-Duell auf dem Lido zuletzt lacht. Denn wenn zwei sich streiten, freut sich bekanntlich oft der Dritte.
Auch Netflix dockt an
Kandidat Nummer drei kommt aus dem Hause Netflix: Noah Baumbachs Tragikomödie «Marriage Story» mit Scarlett Johansson und Adam Driver in den Hauptrollen.
Etwas geringer schätzen die Experten die Erfolgsaussichten der zweiten Netflix-Produktion im Wettbewerb ein: Steven Soderbergh rollt mit «The Laundromat» den Geldwäscherei-Skandal rund um die Panama Papers auf. Die Besetzung ist hochkarätig: Meryl Streep, Gary Oldman, Antonio Banderas.
Anders als Cannes sträubt sich Venedig nicht gegen die Filme des Streaming-Giganten. Im letzten Jahr gewann mit «Roma» schliesslich sogar ein Netflix-Titel den Goldenen Löwen. Sehr zum Ärger von Hollywood, das im Oscarrennen voll auf «A Star Is Born» gesetzt hatte.
Polanski, Parker und #MeToo
Die diesjährige Selektion ist nicht nur wegen der Aufnahme von Netflix-Filmen kontrovers. Kritisiert wird vor allem, dass nur zwei Frauen um den Goldenen Löwen ringen dürfen: Haifaa Al Mansour aus Saudi-Arabien und Newcomerin Shannon Murphy aus Australien.
Was das Ganze aus Gender-Perspektive noch problematischer macht: Quasi im selben Atemzug hat das Festival Roman Polanski und Nate Parker eingeladen. Zwei Regisseure, die einst wegen Sexualstraftaten vor Gericht standen.
Anderswo sind diese beiden Männer längst in Ungnade gefallen. Venedig heisst sie weiterhin willkommen. Weil Werk und Person zu trennen seien, wie Direktor Alberto Barbera erklärt. Das mag stimmen. Genauso wahr ist: So viel Angriffsfläche wie 2019 hat Venedig seinen Kritikern schon lange nicht mehr geboten.