Ein abgelegenes Dorf in der Ukraine. Geheizt wird mit Holz. Gebadet im Fass. Die einzige Einkaufsmöglichkeit ist ein Auto, das einmal pro Woche die nötigsten Lebensmittel bringt.
Die Jungen sind alle längst weggezogen, übrig geblieben sind nur die alten Bewohnerinnen und Bewohner.
Konfrontiert mit der eigenen Vergangenheit
An diesen Ort kehrt Anatoliy (Oleksandr Maksiakov) zurück, um sich um seine sterbende Mutter (Nina Antonova) zu kümmern. Dabei wird er nicht nur mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, sondern auch mit der seines Heimatlandes.
Das Drama «Stepne» läuft am Filmfestival in Locarno im internationalen Wettbewerb.
Die ukrainische Regisseurin Maryna Vroda wuchs in einem ähnlichen Dorf wie dem in «Stepne» bei ihren Grosseltern auf.
Die Laiendarstellerinnen und -darsteller für ihren Film castete sie in der Umgebung und liess sie ihre eigenen Geschichten und Erinnerungen erzählen. «Stepne» ist also eine Mischung aus Spielfilm und Dokumentation von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.
«Der Film hat mich gerettet»
«Ich nenne es eine Art moderne Geschichte über das Erbe – das Erbe des Landes, das Erbe der Heimat, das kulturelle Erbe», erzählt die Regisseurin.
Gedreht wurde das Drama noch vor Beginn des russischen Angriffskriegs. Fertiggestellt hat Maryna Vroda ihr Werk während der Invasion durch Russland. «Der Film hat mich ein bisschen gerettet», sagt die 41-Jährige.
Der schwierige Weg ins Tessin
«Der Krieg ist überall. Misha war unser Fahrer während der Dreharbeiten. Er und seine Familie wurden getötet. Auch unser Kollege von der Rechtsabteilung. So viele von ihnen sind tot. Der Film hielt mich während dieses ganzen Irrsinns fokussiert und beschäftigt», sagt Maryna Vroda.
Um ihren Film in Locarno vorzustellen, reiste sie aus der Ukraine in die Schweiz. Zwei Tage dauerte der Weg. Direkte Flüge gibt es keine aus der Ukraine. Und an Zugtickets zu kommen, sei schwierig, erzählt Maryna Vroda.
Nur dank der Einladung des Festivals habe sie schliesslich ein Billett kaufen können. «Bei der Premiere war ich sehr müde. Aber ich glaube, nur meine Pressefrau hat es gemerkt», sagt Vroda.
Warme Worte vom Botschafter
Es sei wichtig, dass Maryna Vroda und ihr Team den langen Weg in die Schweiz auf sich genommen haben, betont der ukrainische Botschaftsrat Samvel Arustamian.
«Ihre Teilnahme am 76. Locarno Film Festival ist für die Ukraine von grosser Bedeutung», sagte er während der Pressekonferenz in seiner Dankesrede an die Filmcrew. Dass ein Diplomat am Filmfestival das Wort an seine Landsleute richtet, kommt nicht oft vor.
«Dank des Kinos stärken wir die Möglichkeiten der ukrainischen Kultur, mit der Welt zu kommunizieren», so Arustamian. «Die Ukraine blüht, ebenso die ukrainische Kunst.»
«Meine Freunde sterben, ich sitze hier geschminkt»
Heute sei jeder ukrainische Film politisch, sagt Regisseurin Maryna Vroda im Interview. Es sei schmerzhaft, unter diesen Umständen an ein Filmfestival zu kommen. «Meine Freunde sterben an der Front, gar nicht weit von hier. Und ich bin schön geschminkt für ein Interview. Natürlich mache ich das, weil ich ihnen helfen will. Ich will, dass die Menschen mich sehen und uns unterstützen.»
Wann «Stepne» in den Schweizer Kinos zu sehen sein wird, ist noch nicht bekannt.