Kamerablick auf eine Reihe von Füssen. Musik setzt ein, alle Füsse beginnen gleichzeitig an zu tanzen. Das ist die allererste Filmszene dieser besonderen Festivalausgabe 2020.
Venedig feiert das Kino, den Film. Zwar durften nur halb so viele Menschen wie sonst dabeisein, jeder zweite Platz im Festivalpalast wurde freigelassen. Auch das Lächeln der geladenen Gäste war unter den Masken versteckt, die auch während aller Kinovorstellungen auf den Gesichtern bleiben müssen.
Dieses Lächeln verschwand aber nach der ersten Szene von «Lacci» sowieso wieder. Denn kurz nach diesem Fest, an dem auch die vierköpfige neapolitanische Familie (bestehend aus Vater Aldo, Mutter Vanda und den beiden Kindern Anna und Sandro) teilgenommen hat, eröffnet Aldo seiner Frau, er habe eine aussereheliche Beziehung angefangen.
Brüche, Ängste, Kränkungen
Der Film spannt einen Bogen über 30 Jahre hinweg – hier sind die jungen Eltern Aldo und Vanda Anfang der 1980er-Jahre, die versuchen, mit ihrem Beziehungs- und Familienchaos zurechtzukommen, dort sind die gealterten Aldo, Vanda und ihre jetzt schon 40-jährigen Kinder in der Jetztzeit – und was nach all den Brüchen, Ängsten, Kränkungen aus ihnen geworden ist.
«Lacci» heisst Schuhbändel – um die wird es irgendwann im Film auch gehen. Aber natürlich sind mit Lacci auch die Bande gemeint, die ein Paar, eine Familie zusammenhalten. Doch diese Bande sind – wie es Regisseur Lucchetti beschreibt – keine zarten, keine von Liebe geprägten. Diese Lacci hier sind aus Stacheldraht. Verletzend, aber nicht zu trennen.
Zeitsprünge und Perspektivenwechsel
Daniele Luccetti hat – nicht zum ersten Mal – für diesen Film mit dem Schriftsteller und Drehbuchautor Domenico Starnone zusammengearbeitet – «Lacci» ist sein Roman. Starnone ist übrigens mit der Übersetzerin Anita Raja verheiratet – hinter der man die vielgelobte «Neapel-Saga»-Autorin Elena Ferrante vermutet.
Auch die Geschichte von Aldo und Vanda ist hauptsächlich in Neapel angesiedelt. Sie wird nicht chronologisch und nicht linear erzählt: Das macht auch das Besondere dieses Films aus. Die Spannung entwickelt sich daraus, dass in der Zeit gesprungen wird, manche Szenen sogar zweimal erzählt werden; weil auch zwischen den Perspektiven gewechselt wird.
Zuerst scheint «Lacci» die Geschichte der Vanda zu sein, deren Mann sie betrügt. Dann wird sie aber zur Geschichte von Aldo, der sich in der Familienkonstellation eingeengt fühlt. Schliesslich ist es auch die Geschichte der Kinder Anna und Sandro, die unter der ganzen Situation leiden.
Ein schöner Auftakt
Vor allem als jüngeres Paar sind Aldo und Vanda brillant besetzt: zwischen Alba Rohrwacher und Luici Lo Cascio passiert unglaublich viel. Ihre Dialoge sind manchmal so eisig, dass man im Kino direkt friert. Und ihre Mimik ist manchmal minimal und dennoch passiert gerade ganz viel zwischen ihnen. Das fällt vielleicht gerade umso mehr auf, als dass im Moment die Mimik aller Menschen hinter Masken verschwinden.
Mit Daniele Lucchettis «Lacci» als Eröffnungsfilm hat die Festivalleitung einen guten Ton getroffen: Keine grosse Party wird dieses Jahr am Lido gefeiert, sondern alle Spielarten, Zwischentöne, Formen und Farben des Kinos werden ausgerollt. Ein schöner Auftakt.