Die junge Philosophin Alice (Anaïs Demoustier), die sich nie als solche betiteln würde, hat einen neuen Job. Sie ist die persönliche Assistentin von Lyons Bürgermeister Paul Théraneau (Fabrice Luchini).
Ihre Aufgabe ist so umfassend wie eine philosophische Abhandlung zum Thema «Sinn des Lebens». Alice soll Paul Ideen liefern und zum Denken bringen. Denn der Bürgermeister hat ein gravierendes Problem.
Das stärkste Zitat
«Ich kann nicht mehr denken», bekennt Théraneau verzweifelt.
30 Jahre in der Politik haben Spuren hinterlassen: Inzwischen kann der Bürgermeister keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Er funktioniert nur noch: Hier eine Rede vortragen, da ein Gebäude einweihen. Dabei würde der Politiker viel lieber über die wirklich wichtigen Dinge sinnieren.
Die Schauspielerin
Anaïs Demoustier gibt richtig Gas. Seit sie sich 2000 voll auf ihre Schauspielkarriere konzentriert hat, war die junge Französin in über 50 Filmen zu sehen.
Ihren Durchbruch schaffte Demoustier 2003 mit Michael Hanekes «Le temps du loup». In diesem Drama spielte sie neben der grossen französischen Ikone Isabelle Huppert.
Ein paar Jahre später stand die 32-Jährige in Christophe Honorés «La belle personne» neben Léa Seydoux vor der Kamera. Letztes Jahr war Demoustier mit Robert Guédiguians «Gloria Mundi» am Filmfestival in Venedig.
Bis jetzt war Anaïs Demoustier vor allem in Autorenfilmen zu sehen. Für die Rolle in «Alice et le maire» gewann sie im Februar den französischen Filmpreis César als beste Darstellerin. Gut möglich also, dass Hollywood bald an die Tür der Französin klopft.
Fakten, die man wissen sollte
Regisseur Nicolas Pariser hat «Alice et le maire» auf 35mm gedreht. «Ich mag den digitalen Look nicht. Ich finde, es sieht oft sehr hässlich aus», sagt der 45-Jährige.
Was den französischen Filmemacher noch mehr nervt: Wenn man mit einer Digitalkamera filmt und danach so tut, als hätte man auf 35mm gedreht. «Denn die Hauttöne, die Farben und die Bildtextur sind digital nicht so gut, wie wenn man auf Film dreht», ergänzt Nicolas Pariser.
Ihm war ausserdem wichtig, dass man die Protagonisten als Berufsleute sieht. «Das ist sehr selten im französischen Kino. Meistens sieht man wie die Menschen nach der Arbeit nach Hause kommen und das war’s. Alice und der Bürgermeister tun dagegen nichts anderes als arbeiten», sagt der Regisseur.
Das Urteil
Die Rolle des verzweifelten Bürgermeisters ist perfekt auf Fabrice Luchini zugeschnitten. Die Mimik des französischen Schauspielers eignet sich optimal, um die geistige Leere des Staatsmannes auszudrücken.
Auch Anaïs Demoustier beherrscht das Mienenspiel perfekt. Mit ihrem relativ unverbrauchten Gesicht schafft sie es, hochkomplexe philosophische Dialoge ganz natürlich zu vermitteln. Als ob sie nie etwas anderes gemacht hätte, als grosse Denker wie Spinoza zu zitieren.
Vor allem aber überzeugt «Alice et le maire» mit seinen intelligenten Dialogen. Die Komödie zeigt, wie essenziell Philosophie für nachhaltiges Politisieren ist.
Wer nur denkt und nicht handelt, verändert nichts. Und wer handelt, ohne zu denken, kann ein Land ins Chaos stürzen – wie ein Blick aufs aktuelle Weltgeschehen zeigt.
Kinostart: 02.07.2020