Lesbische Nonnen! Sex, Brüste und Folterkeller! Man könnte meinen, der «Nunsploitation»-Film der 1970er-Jahre sei wieder da.
Der Holländer Paul Verhoeven hat schon immer gerne provoziert, mit seinen frühen europäischen Filmen genauso wie mit seinen satirischen US-Produktionen wie «Robocop» oder «Starship Troopers».
Der Fund im Archiv
Auf Frankreichs schöne Virginie Efira als lesbische Schwester Oberin hat wohl auch sein letzter Cannes-Schocker vor fünf Jahren vorbereitet. Das war «Elle» mit Isabelle Huppert als vergewaltigte Business-Frau, die mit ihrem Vergewaltiger zu spielen beginnt.
Die Geschichte, die Verhoeven dieses Mal aufrollt, hat ein 30 Jahre altes Buch von Judith C. Brown aus italienischen Archiven ans Tageslicht gebracht.
Es ist die Geschichte der Benedetta Carlini, die im toskanischen Kloster von Pescia im 17. Jahrhundert als lesbische Äbtissin mit den Wundmalen Christi und anderen Wundern dem männlich dominierten Klerus die Stirn geboten hat.
Sturz vom Klosterdach
Verhoeven bietet im Hintergrund einerseits alles auf, was die Kinogeschichte an einschlägigen Filmen zu bieten hat. Die französische Obsession mit Jeanne d’Arc und den kirchlichen Prozessen gegen die Kindfrau, die vielen ernsthaften Nonnen- und Klosterfilme wie «La religieuse» von Guillaume Nicloux oder «The Nun’s Story» mit Audrey Hepburn von 1959.
Aber auch Bilder welche direkt aus dem «Gothic Horror» der britischen Hammer-Filme stammen können, etwa wenn sich eine der Nonnen dramatisch vor blutrotem Abendhimmel vom Dach er Klosterkirche in die Tiefe stürzt.
Maria und der Missbrauch
Und dazu kommt der Lesben-Sex zwischen Schwester Benedetta (Efira) und der Novizin Bartolomea (Daphné Patakia), den Verhoeven nach allen Regeln der Kunst langsam steigert bis hin zum einschlägigen Missbrauch einer kleinen hölzernen Marienstatue.
Dabei spielt der Film zwar lustvoll und ironisch mit den Genre-Versatzstücken. Aber Verhoeven lässt keinen Zweifel daran, dass ihn die soziale Dynamik, das Machtgefälle zwischen den Frauen und den männlichen Kirchenvertretern, das politische und taktische Geschick der Klosterfrauen viel mehr interessiert. Und die Möglichkeiten, die sich durch geschickt demonstrierten Glauben an die Wunderlehren der Kirche ergeben.
Verspielter Ernst
Charlotte Rampling als Äbtissin Felicita steht, ziemlich grossartig, für diese Abgeklärtheit im Machtgefüge, als geschickte Verhandlerin um Klostergaben der Reichen, aber auch mit doppelbödigen Sprüchen wie dem Hinweis, dass noch kein echter Heiliger seine Wundmale im Schlaf bekommen habe, weil «im Bett noch nie ein Wunder geschehen ist».
«Benedetta» ist saftiges, spielerisches und zugleich sehr ernsthaftes Kino, das mit reisserischen Mitteln augenzwinkernd zu grundlegenden Erkenntnissen über Macht und Glaube gelangt.
Kinostart: 2. Dezember 2021