«Achtung, der Schnyder kommt!», schallte es durch die Gassen Burgdorfs. Die Biografie über Franz Schnyder beginnt mit dem Ende: 1992 marschierte er mit einer Pistole bewaffnet in eine Kunstgalerie und bedrohte die Besitzerin.
Der 82-Jährige war der Überzeugung, die Galerie schulde ihm Geld. In der Folge wurde Schnyder in die Psychiatrie überwiesen, wo er 1993 starb.
So tragisch sein Lebensende war, so aufregend liest sich die neue Biografie der Filmwissenschaftlerin Ursula Kähler und des Filmemachers Raff Fluri.
Es ist – erstaunlicherweise – das erste umfassende Buch über Leben und Werk des Regisseurs, der heute etwas im Schatten anderer grosser Schweizer Filmemacher des 20. Jahrhunderts steht. Von Kurt Früh etwa. Oder Leopold Lindtberg.
«Den anderen Schnyder zeigen»
Autor Raff Fluri ist aus Burgdorf, wie Schnyder auch. Im Emmentaler Städtchen habe man den Regisseur als Greis in Erinnerung, der etwas verrückt und nicht wirklich sympathisch gewesen sei. «Eines unserer Ziele war es, den anderen Schnyder zu zeigen», sagt Raff Fluri.
Dieser andere Schnyder hatte ein aufregendes und erfolgreiches Leben als Schauspieler und Regisseur, auf der Theaterbühne und beim Film – bis zum grossen Bruch in der Schweizer Filmgeschichte Ende der 1960er-Jahre.
Mit seinen historischen Gotthelf-Filmen und «Gilberte de Courgenay», dem Standardwerk über die geistige Landesverteidigung (1941), war Schnyder in den Augen der jungen Generation einer der Hauptvertreter von «Papas Kino». Seine Filme galten plötzlich als verstaubt und konservativ. Als «Heimatfilme» eben.
Missverständnisse und ein Tabu
Zu Unrecht, wie die Filmwissenschaftlerin Ursula Kähler betont. «Die jungen Filmemacher haben damals vor allem im Dokumentarfilm die Zustände in der Schweiz gezeigt, wie sie waren und diese angeprangert.»
Auch Schnyder habe allerdings versucht, ähnliche Themen zu behandeln – einfach im historischen Kontext, in seinen Gotthelf-Filmen. «Aber das der junge Film nicht verstanden», sagt Kähler.
Dabei hat Schnyder durchaus auch immer wieder unbequeme Themen angepackt, die dann aber weniger Publikum fanden und gerade deswegen gefloppt sind. «Wilder Urlaub» ist so ein Film, mit dem Schnyder 1943, also mitten im Aktivdienst, das Tabu der Desertierung behandelt.
Es sind solche Entdeckungen, die diese Biografie besonders wertvoll machen. Und die Geschichten abseits des Films – etwa das Verhältnis, das Schnyder zu seinem Zwillingsbruder Felix, seine Regiearbeiten an deutschen Theatern in den 1930er-Jahren, seine zunehmende Verbitterung und sein krankhafter Grössenwahn im Alter.
Es ist der Wunsch der Autoren, dass man dank dieser Biografie das Werk Schnyders wieder mehr bespreche, dass der Schweizer Regisseur auch in der Filmwissenschaft und an den Filmhochschulen Thema werde. Und dass seine Filme wieder und neu gesehen werden.
Tatsächlich: Nach der Lektüre von «Regisseur der Nation» hat man Lust, sich die Filme von Franz Schnyder wieder anzusehen. Mit anderen Augen.