Im Original von 1948 spielte Montgomery Clift einen GI, der im Nachkriegs-Berlin einem stummen tschechischen Jungen bei der Suche nach seiner Mutter hilft: «The Search» (auf Deutsch «Die Gezeichneten») wurde damals von der Zürcher Praesens-Film von Lazar Wechsler produziert. Regie führte Fred Zinneman und der Film brachte der Schweizer Firma einen Oscar ein.
Die Familie im Krieg verloren
Hazanavicius hat aus der Odyssee des Jungen auf der Suche nach seiner Mutter ein duales Drama mit zwei Strängen gemacht, angesiedelt im Tschetschenien-Krieg von 1999. Der Film setzt ein mit einem Video, offensichtlich von einem russischen Soldaten gefilmt, dem seine Mitkämpfer vorführen, wie das geht «mit diesen Terroristen». Vor der laufenden Kamera erschiessen sie einen muslimischen Vater und dessen Frau und vergewaltigen die Tochter – was die Kamera nicht mehr ganz erfasst. Warum, darüber gibt der eine Teil des Films eine mögliche Antwort.
Zunächst aber erfolgt der Schnitt aufs Kinoformat und wir befinden uns in einem Haus mit dem 9-jährigen Hadji. Durchs Fenster hat er die Ermordung seiner Eltern mitangesehen, das weinende Baby, seinen jüngeren Bruder, im Arm. Nun folgt der Film Hadji, der seinen Rucksack packt und sich vom Flüchtlingsstrom treiben lässt, nachdem er das Kleinkind vor einer Haustür deponiert und geklopft hat, um dann wegzurennen, ohne sich umzusehen. Die Schwester hat die Tortur überlebt und macht sich nun ihrerseits auf die Suche nach den Brüdern.
Grausamer Weg in die Barracken von Tschetschenien
Im Verlaufe der Geschichte taucht Helen (Annette Bening) auf, die ein Flüchtingslager und ein Auffangheim für Kinder führt, und eine Menschenrechtsinspektorin (gespielt von Bérénice Bejo, der Frau des Regisseurs). Bei ihr landet Hadji schliesslich. Und was aus einer Verlegenheit heraus als Notlösung für ein paar Tage erschien, wird für beide zu einem heilsamen Prozess. Denn die Frau ist unendlich frustriert über ihre Vorgesetzten und das europäische Parlament, die sich weigern, das Flüchtlingselend als humanitäre Katastrophe zu klassifizieren – aus Angst vor den Russen.
Und bei den Russen beginnt der zweite Strang des Films. In Perm wird der 19-jährige Student Kolia beim Kiffen erwischt. Der Richter findet, für Gefängnis sei er doch noch etwas jung – ob er nicht lieber in die Armee wolle? Und dann folgt der mindestens so grausame Weg des jungen Mannes in die Barracken in Tschetschenien, wo er misshandelt und gedemütig wird, Leichen verpacken und Selbstmörder als «im Kampf gefallen» deklarieren muss, bis sie ihn schliesslich an die Front schicken. Dort erschiesst er bald in Panik seine ersten Zivilisten und findet beim Plündern eine Videokamera.
«The Search» kombiniert mit «Full Metal Jacket»
Das ist keine grosse Überraschung mehr am Ende des zweieinhalb Stunden langen Films. Aber es ist eine geschickte Drehbuch-Konstruktion, die es Hazanavicius ermöglicht, Mitleid für die Mörder nicht nur zu fordern, sondern auch zu bekommen. Waren fast alle Filme des Regisseurs bisher Parodien, oder Hommagen wie «The Artist», so hat er offenbar auch für seinen dramatischen Durchbruch seine cinéphilen Wurzeln nicht ausser Acht lassen wollen. Der Film wirkt, als ob er Zinnemans «The Search» mit Kubricks «Full Metal Jacket» habe zusammenbringen wollen. Das Resultat ist ein gut gemachtes, erschütterndes Drama, ein weiterer Beweis für die vielen Talente des Regisseurs. Aber wahrscheinlich kein Film für die Ewigkeit.