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Film & Serien Die seltsame Geschichte des «Electroboy» Florian Burkhardt

«Electroboy» erzählt die bewegte Lebensgeschichte von Florian Burkhardt. Er zieht aus, begibt sich auf die Suche nach Ruhm und Anerkennung, wird Fotomodell, Webdesign-Pionier und Musikdesigner. Ein Film, der dramaturgisch zupackt – und beim Schweizer Filmpreis als bester Dokumentarfilm geehrt wurde.

Florian Burkhardt war wohl ein mehrfaches Zeitgeistkind. In seiner Raupen-Jugend, die Marcel Gislers Dokumentarfilm allmählich und sorgfältig aufblättert, vor allem aber in seinen schillernden Schmetterlingsphasen als Möchtegern-Filmstar, international erfolgreiches Fotomodell und Posterboy, Webdesign-Pionier und schliesslich Party- und Musik-Designer Electroboy.

Zwei Jahre akribische Recherchezeit

«Generalisierte Angststörung bei narzisstischer Persönlichkeitsstruktur mit Selbstwert- und Identitätsproblematik mit Anteilen einer sozialen Phobie.» Dieser Satz aus der psychiatrischen Akte, die nach Florians Selbsteinlieferung angelegt worden war, gab für Marcel Gisler den Ausschlag, das Dokumentarfilmprojekt über den «Electroboy» anzugehen.

Regisseur Marcel Gisler.
Legende: Hat nach einigen Spielfilmen seinen ersten Dokfilm gedreht: Regisseur Marcel Gisler. Filmfestival Locarno

Zwei Jahre akribische Recherchezeit mit Vorgesprächen und detaillierten Konzepten gingen dem Dreh voraus. Und dann wurde der Film doch komplett anders. Alles so, wie es bei einem Dokumentarfilmprojekt sein muss.

Gisler führt ein langes Interview mit Florian Burkhardt in dessen Wohnung in Bochum. Dieses Gespräch ist der Lebensnerv des Films. Florian erzählt, wie sein eigenes Leben mit 21 Jahren begonnen hatte. Er hatte das Lehrerpatent in der Tasche und liess das strenge Diktat des Elternhauses hinter sich. Mit Hilfe eines Freundes baute er eine komplette Identität als künftiger Filmstar auf. In Los Angeles fand er auch gleich den passenden Agenten.

Unglaublich erfolgreiche Selbst-Erfindungen

Florian Burkhardts Erinnerungen bekommen nicht nur durch seine Formulierungen eine manische Qualität. Es ist vor allem auch sein eigenes, fast ungläubiges Staunen über die eigene Unverfrorenheit, den naiven Erfolgsdrive, der ihn damals beherrschte – und ihm offensichtlich Flügel verlieh. Ihm, und seinem Mentor, Freund, Manager, Financier, Chauffeur, Agent Urs «Fidji» Keller. Und dann folgt Gislers Film in bewährter Dokumentarfilmdramaturgie, immer wieder eine neue Seite umzublättern, eine weitere Überraschung aus der Vergangenheit aufzudecken, weitere Zusammenhänge sichtbar zu machen.

Florian Burkhardt in der Küche.
Legende: Mit Mops in Bochum: Multitalent Florian Burkhardt. Vinca Film GmbH

Die unglaublichen und zu guten Teilen unglaublich erfolgreichen Selbst-Erfindungen des Florian Burkhardt sind schon für sich genommen derart phantastisch, dass es manchmal schwer fällt, alles für bare Münze zu nehmen. Marcel Gisler ist es offenbar schon bei den Recherchen ebenso ergangen.

Aber verblüffenderweise ist es dann ausgerechnet Florian Burkhardts eigenes, distanziertes und analytisches Erzählen, welches die Glaubwürdigkeit herstellt. Der Mann hat in den wenigen Jahren, seit seinen Höhenflügen, eine kritische Distanz zum eigenen Leben entwickelt, die mitreisst und mitleiden lässt.

Vielleicht liegt es daran, dass einen die effiziente und zupackende Dramaturgie des Filmes unruhig werden lässt. Denn die Geschichte wird immer mehr zum Familiendrama, ihre Protagonisten schälen sich unter Schmerzen aus der eigenen Vergangenheit heraus, und das Publikum im Saal weiss sich des öfteren seines eigenen Unbehagens nur noch durch Lachen zu erwehren. Wenn Gisler mit seiner Zwiebelschäldramaturgie den wilden Ritt also noch wilder macht, kann einem schon wind und weh werden.

Mehr als die Aufzeichnung von Ereignissen

Aber am Ende ist auch dies eine der grossen Qualitäten des Films. Denn das Lachen gilt, wie meist, der Diskrepanz zwischen dem Offensichtlichen und dem Formulierten, dem Abgrund zwischen dem, was sichtbar wird und dem was man bloss vermuten kann. Wir reagieren mit Sympathie und Mitleid. Die Burkhardts sind bei aller Tragik und in ihrer aussergewöhnlichen Konstellation doch auch eine typische Schweizer Familie; die ungleichen Brüder Florian und Claudius sind in der gleichen Zeit aufgewachsen wie viele von uns.

SRF-Koproduktion

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Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) hat diesen Film koproduziert .

Marcel Gislers erster Dokumentarfilm ist seinem schillernden Sujet gewachsen. Er ist weit mehr als nur die Aufzeichnung von Zusammenhängen. «Electroboy» geht über das Dokumentarische hinaus, bekennt sich klar dazu, dass der Akt des Filmens, des Fragens, nie passiv bleiben kann, nie ohne Auswirkungen auf die Gefilmten und Befragten.

Und so macht Gisler auch den konsequenten nächsten Schritt und greift sichtbar ein, macht sich und sein Kamerateam zu einem therapeutischen Instrument, seinen Film zu einer Art «Familienaufstellung». Und obwohl die strenge klassische, ethnographisch geprägte Dokfilm-Ethik genau dieses aktive Filmen eigentlich verbietet, wirkt Electroboy noch viel nachhaltiger und ehrlicher in der Offenheit, mit dem er seine Rolle anerkennt. Für diese Leistung nahm Gisler diesen März den Schweizer Filmpreis für den «Besten Dokumentarfilm» entgegen.

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