Die Dokumentarfilmerin Lucienne Lanaz porträtiert in ihrem neuesten Werk das Schweizer Künstlerpaar Erica und Gian Pedretti. Sie begleitet die beiden bei den Vorbereitungen für eine Ausstellung. Ein Dokumentarfilm, der beinahe nicht zustande gekommen wäre.
SRF: Sie haben das Künstlerpaar Erica und Gian Pedretti für ein Filmporträt begleitet. Wie haben Sie die kamerascheuen Pedrettis dazu gebracht, sich filmen zu lassen?
Lucienne Lanaz: Als erstes begleite ich die Menschen einfach im Alltag, keine harten Interviews, ich grüble nicht, ich lebe und erlebe mit ihnen den Alltag. Ich mache das immer so. Erst danach kommen die Interviews. Wir filmten zum ersten Mal im Herbst 2017 in Celerina, wo die Pedrettis damals wohnten.
Dann starb im Winter eines ihrer gemeinsamen Kinder. Schrecklich. Danach wollten sie nicht mehr gefilmt werden. Das ist völlig verständlich, aber für den Film war es natürlich eine Katastrophe.
Wie ging es danach weiter?
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Den Film beerdigen und das beantragte und bereits gesprochene Geld zurückschicken? Das kam nicht in Frage. Die befreundete Dramaturgin Bärbel Dalichow schlug dann vor, aus der Literatur von Erica Pedretti ein Narrativ zu schreiben.
Wenn zwei Menschen sich intim lieben, Kunst machen wollen und fünf Kinder auf die Welt bringen – und das alles ohne Geld: Das war für die Kinder sicher nicht einfach.
Erica beschreibt in ihren Büchern stets ihr Leben. Sie hat mir einmal gesagt: «Ich habe ja alles aufgeschrieben, warum muss ich jetzt noch mit dir sprechen?» Aber das war natürlich nicht der ursprüngliche Plan.
Ein Film, der fast nicht zustande kommt, ein Paar, das sein Leben der Kunst verschreibt, das klingt nicht einfach.
Nein. Und dann hatten sie auch noch fünf Kinder! Wenn zwei Menschen sich intim lieben, Kunst machen wollen und fünf Kinder auf die Welt bringen – und das alles ohne Geld: Das war für die Kinder sicher nicht einfach.
Das erinnert auch ein bisschen an Ihr Leben ...
Bedingt, denn ich habe immer gearbeitet. Damit meine ich nicht die Filmerei, denn die hat ja kaum was abgeworfen. Wenn ich kein Geld mehr hatte, habe ich als kaufmännische Angestellte gearbeitet und später dann auch als Turnlehrerin. Dadurch erhalte ich nun auch Geld aus der AHV und der Pensionskasse.
Ich bin eine One-Woman-Enterprise.
Sie haben etwas «Anständiges» gelernt, wie man so schön sagt?
Ja, ich musste das KV machen, weil ich Geld verdienen musste. Ich bin Arbeiterkind, aufgewachsen im Kreis 4 in Zürich. Aber das KV hat mir auch sehr geholfen, denn ich habe alle meine Filme auch selbst produziert. Ich bin eine One-Woman-Enterprise.
Und Sie sind Autodidaktin.
Ja, ich habe als junge Frau einen Mann kennengelernt, der Filme machte: Marcel Leiser. Mit dem war ich mit auf Drehs. Ich habe Bettflaschen für die Schauspielerinnen gemacht, Kaffee geholt, als Skriptgirl gearbeitet – so wurde ich langsam zur Produzentin.
Wir haben dann 1974 zusammen «Le Bonheur à 70 ans» über meine Mutter gedreht. Der hatte grossen Erfolg und viele Preise geholt. So ging es los.
Und wie haben sich die Pedrettis über Wasser gehalten?
Erica hat für ihre Literatur einige Preise und damit auch Preisgeld erhalten, die Bücher verkauften sich nicht schlecht. Gian hat im späteren Leben, als er seine Bilder verkaufen konnte, mit seiner Kunst auch etwas verdient.
Aber sie wohnten unglaublich einfach. Sie hatten nicht mal eine Heizung. Gian ging bis vor ein paar Jahren noch Holz hacken. Mit 90 Jahren!
Warum zog die Familie von Celerina nach La Neuveville an den Bielersee?
Damit die Kinder an eine Schule gehen konnten, die ihnen entspricht. Die Pedrettis haben offenbar nie Hausaufgaben mit den Kindern gemacht, sie waren weitgehend auf sich selbst gestellt – und dann gab es Probleme an der öffentlichen-kantonalen Schule.
Der Plan war, dass sie bleiben, bis die Kinder alle «durch» sind. Daraus wurden dann 48 Jahre.
Was raten Sie jungen Menschen, Frauen wie Männern, die ins Filmgeschäft einsteigen wollen?
Älter werden! Damit meine ich, Lebenserfahrung sammeln, denn diese bekommt man nicht an Filmschulen vermittelt, nur im Leben selbst. Und: filmen, filmen, filmen, so viel wie möglich.
Das Gespräch führte Christian Walther.