Oktober 2018: Jamal Khashoggi betritt in Istanbul das saudi-arabische Konsulat. Dort tappt er in eine tödliche, von langer Hand geplante Falle: Er wird das Haus nicht mehr lebend verlassen.
Jamal Khashoggi ist nicht irgendwer: Er hat Einfluss, pflegt Regierungskontakte. Er ist ein glaubwürdiger saudischer Intellektueller, der sich mit seinen politischen Meinungen über seine Heimat weltweit Gehör verschafft.
Doku-Thriller
Khashoggis Leiche wird nie gefunden, aber ins Visier gerät ein mächtiger Intimfeind: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman höchst selbst erscheint als potenzieller Drahtzieher. Ein UNO-Untersuchungsbericht untermauert die These.
Der US-Dokumentarfilm «The Dissident» rollt den Fall auf. Streckenweise macht er das in klassischer US-Manier: Es läuft dramatische Musik. Bilder aus Überwachungskameras zeigen Khashoggis letzten Gang in die Botschaft. Polizeikameras sondieren den Tatort. Ästhetisch erinnert das an amerikanische «True Crime»-Formate.
Khashoggi als Held
Jamal Khashoggi selbst wird im Film durchwegs positiv gezeichnet: Als ein liberaler Verfechter der Redefreiheit, als ein eifriger Kritiker der absoluten Monarchie Saudi-Arabiens. Kurz: als ein Held aus westlicher Sicht.
Der Film braucht diese Hochstilisierung des Opfers für sein Narrativ: Je sympathischer und gerechtigkeitsliebender Khashoggi erscheint, desto skandalöser sind die Vertuschung und die Verharmlosung der Umstände seines brutalen Todes.
Zögerlicher Westen
Hier zeigt «The Dissident» mit dem Finger auf die Politik: Westliche Mächte sanktionieren Saudi-Arabien trotz erdrückender Beweislast kaum. Insbesondere der damalige US-Präsident Donald Trump hält den Ball lieber flach – viel zu wichtig sind ihm die Handelsbeziehungen mit den Ölscheichs.
Das verwundert kaum. Spannender ist «The Dissident», wenn er Khashoggis Rolle im Kontext des Widerstands auslotet, der sich ausgehend vom arabischen Frühling gebildet hat. Porträtiert wird im Film ein junger Aktivist aus Montreal, der Kontakt zu Khashoggi hatte. Dieser junge Mann ist der wahre Dissident des Filmtitels – er allein hätte einen starken Film hergegeben.
Die nächste Generation
Der Aktivist erzählt vor allem vom digitalen Widerstand: Von Twitter etwa, wo seine kritischen Beiträge mit unzähligen Beschimpfungen aus Fake-Accounts eingedeckt werden: Es sei eine Propagandamaschine, die seine Bewegung zahlenmässig bekämpfen müsse.
Diesen Cyber-Krieg vertieft der Film sorgfältig – weit über Twitter hinaus, bis hin zu einer hochentwickelten Trojaner-Software aus Israel. Die soll mitverantwortlich sein für Khashoggis Tod: Die Saudis spionierten ihn aus. Der Konzern hinter dieser Spionage-Software verkauft seine heiklen Produkte anscheinend skrupellos an die Meistbietenden.
Hier bringt «The Dissident» seine Botschaft auf den Punkt: Blut klebt am Osten und am Westen, im realen und im digitalen Raum – überall dort, wo man Geld über Menschenrechte stellt.