Compton gehört nicht zu den Ecken Kaliforniens, die man in Reiseprospekten sieht. Die Kriminalität ist hoch, die Lebenserwartung tief, die Aussichten auf Wohlstand denkbar schlecht.
Für junge Afroamerikaner ist die Situation noch übler: Keine andere Gruppe leidet stärker unter den überforderten Cops und der damit verbundenen Polizeiwillkür. Niemand brachte diese Missstände je besser auf den Punkt als die fünf Rapper von N.W.A in den späten 80er Jahren: Dr. Dre, Ice Cube, Eazy-E, DJ Yella und MC Ren. «Straight Outta Compton» zeigt, wie es ihnen gelang, mit zornigen Protestsongs die Massen zu begeistern.
Das stärkste Zitat
Musik-Manager Jerry Heller, will von Rapper Eazy-E wissen, ob der Bandname N.W.A für das steht, was er befürchtet: «No Whites Allowed?» («Keine Weissen erlaubt?»). «Nein», entgegnet ihm dieser schroff. Dann folgt eine Kunstpause, bevor er Heller über die wahre Bedeutung der Abkürzung aufklärt: «Niggaz With Attitudes» – wortwörtlich übersetzt: «Nigger mit Standpunkten». Wobei «Nigger» als selbstgewählter Begriff unter Afroamerikanern freilich keine abwertende Konnotation besitzt. Er ist vielmehr Ausdruck ethnischen Stolzes und brüderlicher Verbundenheit.
Der Regisseur
Filmemacher F. Gary Gray begann seine Regielaufbahn mit einem Musikvideo von Ice Cube. Danach blieb er dem Rapper eng verbunden. 1995 beauftragte ihn dieser mit der Verfilmung seines ersten Drehbuchs. Die Kiffer-Komödie «Friday» entpuppte sich für beide als Glücksfall. Gray startete damit seine Kinokarriere und Ice Cube lieferte den Beweis, dass er auch als Hauptdarsteller funktioniert. In der Folge etablierte sich Gray recht erfolgreich als Genre-Regisseur von Action-Vehikeln («The Italian Job»), Komödien («Be Cool») und Thrillern («Law Abiding Citizen»). «Straight Outta Compton» ist die erste Milieustudie des inzwischen 46-jährigen Afroamerikaners.
Fakten, die man wissen sollte
Ice Cube, bürgerlich O’Shea Jackson, wird vom Rapper OMG verkörpert, der dem Hip-Hop-Urgestein wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Die verblüffende Ähnlichkeit lässt sich kinderleicht erklären: OMG heisst bürgerlich O’Shea Jackson Jr. und ist Ice Cubes leiblicher Sohn. Generell fällt die grosse Nähe des Films zu seinen Protagonisten auf. «Straight Outta Compton» analysiert die Karriere der Gangsta-Rapper nicht aus objektiver Distanz. Ice Cube und Dr. Dre sind nicht nur Teil der Handlung, die beiden geschäftstüchtigen Hip-Hop-Giganten haben das knapp zweieinhalbstündige Biopic auch produziert.
Das Urteil
Dr. Dre und Ice Cube haben sich mit «Straight Outta Compton» ihr eigenes filmisches Denkmal erbaut. Das Ergebnis ist glücklicherweise keine glattpolierte Heldenstatue, sondern gleicht mit seinen vielen Ecken und Kanten eher einem Rohdiamanten. Dialoge, Manieren, Musikszenen – vieles wirkt ungeschliffen und dadurch besonders echt. Vor allem aber passt die raue Form perfekt zum Inhalt: Schliesslich geht es nicht um politisch korrekte Gutmenschen, sondern um ungehobelte Gangsta-Rapper. Ein besonderes Lob gebührt den fünf jungen N.W.A.-Darstellern, die hierzulande kaum einer kennen dürfte. Sie spielen die fehlbaren Helden mit dermassen viel Hingabe, dass man kein Hip-Hop-Junkie sein muss, um mit ihnen mitzufiebern.
Kinostart: 27. 8. 2015