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Alice (Anne Paulicevich) und Jean-Christophe (François Damiens) tanzen Tango.
Legende: Kommen sich beim Tangotanz näher: Alice (Anne Paulicevich) und Jean-Christophe (François Damiens). Movienet Film

Film & Serien Ein Dreiecks-Tango hinter Gittern

«Tango libre» von Frédéric Fonteyne ist kein Tanz- und kein Gefängnisfilm. Auch kein Krimi und keine Dreiecksgeschichte. Dennoch zaubert der belgische Regisseur aus diesen Inhalten ein erfreulich spezielles Kinoerlebnis.

Alice hat einen jungen Sohn und einen Liebhaber im Gefängnis. Der Vater des Sohnes ist des Liebhabers bester Freund – und ebenfalls im Gefängnis. In der gleichen Zelle. Und dieses ganze verquere Dreieck sehen wir durch die Augen des Gefängniswärters Jean-Christophe (François Damiens), der Alice im Tango-Kurs kennengelernt hat.

Viel künstlicher könnte eine Drehbuchkonstruktion gar nicht ausfallen. Oh doch: Denn Fernand (Sergi López) und Dominic (Jan Hamenecker) im Gefängnis kriegen Wind vom Tangokurs und von den Avancen, den ihr Wächter ihrer Frau macht. Und das können sie nicht auf sich sitzen lassen. Der Wärter wird erst mal behandelt. Dann organisiert man sich die Argentinier im Gefängnis – für einen gründlichen Tango-Kurs.

Kollaboratives Filmwunder

Nein, «Tango libre» ist keine Komödie. Auch kein Tanzfilm. «Tango libre» ist ein kleines kollaboratives Filmwunder von Frédéric Fonteyne und seiner Frau Anne Paulicevich. Sie hat nicht nur das Drehbuch geschrieben (zusammen mit Philippe Blasband), sie spielt auch die Alice. Sie ist Schauspielerin, geschulte Tänzerin, hat bei Jacques Doillon in «Le premier venu» eine Serviererin gespielt und bei Jean-Claude van Damme in «JCVD» in einem Tickethäuschen gearbeitet – und ist gleich nach den Dreharbeiten zu «Tango libre» Mutter geworden.

Das Paar Pauliceveich-Fonteyne hat es geschafft, die jeweils eigenen Obsessionen perfekt zu einem wirklich starken Film zu fusionieren.

Spiel mit den Perspektiven

Fonteyne ist ein Cineast der Blicke. Seine Filme bestehen aus Perspektiven; sie werden aus den verschiedenen Blickwinkeln verschiedener Figuren erzählt. Das war besonders deutlich in «Une liaison pornographique» von 1999, in dem Nathalie Baye und Sergi Lopez einen Mann und eine Frau spielten, welche ihre ungebundene Langzeit-Hotel-Affäre rekapitulierten.

«Tango libre» spielt nun ebenfalls mit den Blickwechseln, fast unmerklich choreographiert. Das beginnt schon beim Filmanfang, bei dem ein Überfall auf einer Strasse schief läuft und wir als Zuschauer bereits anfangen, unsere Blicke irgendwo anzuhängen, um Orientierung zu finden.

Dokumentarische Präzision

Dann folgen all diese Szenen, welche für sich genommen jeweils perfekte Binnen-Inszenierungen darstellen. Ob wir Jean-Christophe beim schüchternen Tanzen mit Alice sehen, oder Alice mit ihrem Sohn, oder die Männer im Gefängnis: Das alles ist mit Präzision und Ernsthaftigkeit gespielt und inszeniert. Fonteyne hat einen Blick für realistische Situationen und dreht diese mit dokumentarischer Präzision.

Für die Vorbereitungen zum Film hat Fonteyne akribisch recherchiert. Er hat mit Langzeitgefangenen gesprochen und Gefängnisse besucht. So entstand dieser Film mit seiner irrwitzigen Mischung aus Verrücktheit und Realismus, Komik und Ernsthaftigkeit.

Gefängnisinsassen beim Tanz im Gefängnishof.
Legende: Tango - Ein Tanz erobert das Gefängnis. Movienet Film

Zuschauer wird zum Komplizen

Was so ausgesprochen spielerisch scheint, ist perfekt durchkonstruiert bis in die Details. So bilden die Aussen-und die Gefängniswelt zunächst klar voneinander isolierte filmische Räume, verbunden einzig durch den Wärter Jean-Christophe, der sich zwischen den beiden bewegen kann – und der Liebe zwischen Alice und den Männern und ihrem Sohn.

Die allerdings trifft dann ebenfalls auf einen konkreten filmischen Raum: die Besucherhalle im Gefängnis, wo sich Alice mit dem einen Mann trifft, während der andere ein paar Tische weiter mit dem Sohn spricht – und dann die Konstellation wechselt. Hier ist wiederum der junge Wärter ausgeschlossener Beobachter, während ich als Zuschauer überall dabei sein kann.

Diese Intimität macht mich zum Komplizen aller: auch dort, wo sich ihre Interessen nicht zur Deckung bringen lassen. Damit bekommt der Film eine emotionale Spannung, die ihresgleichen sucht.

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