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Faszination Fantasy Science Fiction in Hollywood: Von Trash zum Milliardengeschäft

Kein Kinosommer ohne Science-Fiction-Blockbuster: Hollywood wird heute von fantastischen Filmen dominiert. Dabei geht vergessen: Science Fiction und Fantasy waren in der Filmindustrie jahrzehntelang verpönt.

Der grosse Gewinner bei den diesjährigen Oscars war ein Seemonster-Liebesdrama: «Shape of Water» von Guillermo del Toro. Im bisher kommerziell erfolgreichsten Film von 2018 trägt der Hauptdarsteller einen Catsuit: «Black Panther». 2017 führte die Liste ein Film an, bei dem Lichtschwerter eine entscheidende Rolle spielen: «Star Wars: Die letzten Jedi».

Wer heute einen Grosserfolg produzieren will, hat inhaltlich keine grosse Auswahl. Riesenumsätze lassen sich derzeit nur mit Science-Fiction- und Fantasy-Filmen machen.

Blaue Aliens beherrschen die Charts

Von den zehn erfolgreichsten Filmen aller Zeiten sind acht in einem fantastischen Genre angesiedelt. Auf Platz eins thront seit 2009 James Camerons «Avatar». Dann folgt der grosse Ausreisser, «Titanic», ebenfalls von Cameron. Dahinter reihen sich diverse Marvel-Superhelden- und «Star-Wars»-Abenteuer ein sowie andere Kassenschlager mit nicht ganz menschlichen Helden.

Neben den Mainstream-Filmen tummelt sich insbesondere in der Science Fiction aber auch viel Versponnenes und Abseitiges.

Das zeigt sich besonders deutlich am «Neuchâtel International Fantastic Film Festival» (NIFFF), das am 4. Juli seine Tore öffnet und dieses Jahr mit David Cronenberg den Altmeister des verstörenden Körper-Horrors ehrt. Schräger als «Videodrome» (1983), in dem Hauptdarsteller James Woods ein Schlitz für Videokassetten «wächst», wird das Kino kaum.

An aktuellen Filmen ist in Neuenburg unter anderem «Hereditary» von Ari Aster zu sehen, den manche Kritiker bereits für den unheimlichsten Film des Jahrzehnts halten. Oder die Manga-Verfilmung «Inuyashiki», in dem ein alleinstehender alter Mann plötzlich zum Cyborg wird.

Nicht immer so fantastisch

Die Dominanz fantastischer Genres ist derzeit so erdrückend, dass man vergisst, dass der Kinomarkt einmal ganz anders funktioniert hat. Zum Vergleich ein Blick auf das Jahr 1972: Kassenschlager Nummer eins und der bis dahin kommerziell erfolgreichste Film aller Zeiten war Francis Ford Coppolas «The Godfather».

Das Mafia-Epos mit Marlon Brando und Al Pacino ist unbestritten einer der grossen Klassiker der Filmgeschichte. Doch dass ein Film ohne überbordende Actionszenen und nie gesehene Spezialeffekte die Kinocharts derart dominiert, ist heute schlicht undenkbar.

Kein Interesse an Science Fiction

Hollywood hatte lange kein Interesse an fantastischen Filmen. Vor 1950 war Science Fiction als Filmgenre praktisch nicht vorhanden. Zwar schickte der Filmpionier Georges Méliès 1902 in seinem Kurzfilm «Le voyage dans la lune» bereits Menschen ins All, und 1927 drehte Fritz Lang seine epochale Stummfilm-Dystopie «Metropolis», diese Filme sind aber die Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

Schwarz-Weiss-Bild: Ein Mond mit einem Gesicht. Ein Auge ist von einem Fernrohr bedeckt.
Legende: Das Raumschiff ist gelandet, im rechten Auge des Mondgesichts: Georges Méliès schickte 1902 in seinem Klassiker «Le voyage dans la lune» eine Forschergruppe auf den Mond. Keystone

Im Hollywood zwischen 1920 und 1940 gab es Dramen, Abenteuerfilme, Komödien und Musicals – aber keine Ausflüge in fremde oder zukünftige Welten.

Ein Grund dafür ist zweifellos, dass Science Fiction auch als literarisches Genre relativ jung ist. Freilich gibt es Vorgänger wie Jules Vernes fantastische Reisen Ende des 19. Jahrhunderts oder H. G. Wells’ Romane über blutrünstige Ausserirdische, doch von Science Fiction sprach damals niemand.

Als eigenständige Literaturform, die auch so vermarktet wurde, entstand Science Fiction erst Ende der 1920er-Jahre und beschränkte sich anfangs auf US-amerikanische Groschenhefte.

Ramsch ohne Ansehen

Die auf billigem Papier gedruckten Heftchen mit ihren grellen Titelblättern galten als Ramsch, bestenfalls gut genug für Teenager, aber nicht als ernsthafte Literatur.

Die grossen Studios wie 20th Century Fox oder Metro-Goldwyn-Meyer waren zu dieser Zeit darum bemüht, den Film als ernsthafte Kunstform zu etablieren, um so auch ein bürgerliches Publikum anzusprechen. Geschichte mit Raumschiffen und Ausserirdischen waren entsprechend niedrig im Kurs.

Singender Cowboy in Billigkulissen

Eine Ausnahme stellten die sogenannten Serials dar, schnell abgedrehte Fortsetzungsfilme, deren jeweils rund 20-minütigen Folgen in den Kinos über mehrere Wochen hinweg gezeigt wurden. Serials waren die unterste Stufe der Filmindustrie und wurden von spezialisierten Studios produziert.

Hier entstanden Kuriositäten wie «The Phantom Empire» von 1935, in dem der singende Cowboy Gene Autrey die unterirdische Zukunftsstadt Murania entdeckt.

«Phantom Empire» ist eine krude Mixtur aus Musical, Science Fiction und Pferdeoper mit Billigkulissen und hanebüchener Handlung. Das Serial illustriert bestens, welch tiefes Ansehen Science Fiction in den 1930er-Jahren hatte.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte Hollywood einen grossen Umbruch. Das etablierte Studiosystem zerbrach, und Genres mit bis dahin wenig Prestige wie Krimis, Agententhriller oder eben Science Fiction wurden wichtiger.

Aufwendige, in Farbe produzierte Science-Fiction-Filme wie «The War of the Worlds» (1953) und «The Time Machine» (1960) – beide nach Vorlagen von H. G. Wells – bildeten allerdings nach wie vor die Minderheit.

Es dominierten billige Reisser wie «Them!», in dem riesige Ameisen für Verwüstung sorgen, oder «Earth vs. the Flying Saucers» (1956), dessen Titel Programm ist.

Hollywood entdeckt die Jugend

Zwar entstand auch mancher Klassiker wie etwa Jack Arnolds «Creature from the Black Lagoon» (1954), dem Guillermo del Toro in «Shape of Water» Referenz erweist. Aufwendige Produktionen mit bekannten Schauspielern waren aber noch immer die Ausnahme.

Ein Unterwassermonster.
Legende: Der Kiemenmensch war «Der Schrecken vom Amazonas», wie der deutsche Titel des Films «Creature from the Black Lagoon» von 1954 lautete. Pictorial Press Ltd / Alamy

In den 1960er-Jahren entdeckte Hollywood die Jugend, und dies gleich im doppelten Sinn. Zum einen wurden Teenager zu einem immer wichtigeren Kundensegment, zum anderen trat eine neue Generation von Regisseuren auf den Plan, die mit den verpönten Groschenheften aufgewachsen waren und entsprechend wenig Berührungsängste kannten.

1968 als Wendepunkt

Ein erster Wendepunkt war das Jahr 1968, in dem mit «Planet of the Apes» und «2001: A Space Odyssey» zwei Filme ins Kino kamen, die in Sachen Aufwand und Anspruch alles bisher Dagewesene in den Schatten stellten.

Wartete «Planet of the Apes» mit Charlton Heston, dem Star von Historienepen wie «The Ten Commandments» (1956) oder «Ben Hur» (1959) auf, bewies Stanley Kubricks philosophischer Weltraumtrip endgültig, dass Science Fiction auch inhaltlich anspruchsvoll sein konnte.

Ein Kultfilm trifft den Nerv

Vor allem aber markierte «2001», der dieses Jahr am NIFFF als Open-Air-Vorführung gezeigt wird, eindrucksvoll den sich anbahnenden Generationenwechsel. Die erste Vorführung in New York vor gestandenen Filmkritikern und Studiobossen geriet zum Desaster, doch das Publikum war davon nicht beeindruckt.

Der Film traf vielmehr den Nerv der von Flower-Power und bewusstseinserweiternden Drogen gekennzeichneten Zeit. Teenager und Studenten strömten in Scharen ins Kino und machten «2001» zum erfolgreichsten Film des Jahres.

Ein düsteres Jahrzehnt

Es folgte ein Jahrzehnt, in dem der Science-Fiction-Film eine regelrechte Blütezeit erlebte. Mit einer neuen Generation von Filmemachern wechselten auch die Inhalte. Konsumkritik und die Sorge um die bedrohte Umwelt – Themen, die vorher kaum je aufgegriffen wurden – rückten nun ins Zentrum.

Nie zuvor wurde derart viel Geld in das Genre investiert, und nie zuvor war die filmische Science Fiction düsterer als in den 1970er-Jahren.

In «The Omega Man» (1971) musste sich Charlton Heston gegen Zombies zur Wehr setzen – der Will-Smith-Film «I Am Legend» von 2007 basiert auf der gleichen Vorlage –, während in «Silent Running» (1971) die letzten Überreste irdischer Natur in Raumschiffen durchs All gondeln.

In «Soylent Green» (1973), wieder mit Charlton Heston, ist die Bevölkerungsexplosion derart ausser Kontrolle geraten, dass der Staat aus toten Menschen hergestellte Nahrungsriegel an die Bevölkerung abgeben muss.

Weltraumgefechte und Lichtschwert-Duelle

Dann kam das Jahr 1977. In seinem Kinodebüt «THX 1138» hatte George Lucas sechs Jahre zuvor noch die pessimistische Vision einer totalitären Zukunft entworfen, in der jede Gefühlsregung verboten ist.

Davon war im grossen Weltraummärchen «Star Wars» wenig übriggeblieben. Nun standen Weltraumgefechte und Laserschwert-Kämpfe – sprich Spektakel und Schauwerte – im Vordergrund.

Als Folge von «Star Wars» war Science Fiction in den kommenden Jahren in Form von familientauglichen, leicht märchenhaften Erzählungen erfolgreich. Etwa Steven Spielbergs «E. T. The Extra-Terrastrial» (1982) oder Robert Zemeckis’ «Back to the Future» (1982).

Bedrückende Szenarien wie in Ridley Scotts «Blade Runner» (1982), rückwirkend wohl der wichtigste Science-Fiction-Film des Jahrzehnts, floppten an der Kinokasse.

Szene aus ET.
Legende: Bei «E.T.» gab es keine intergalaktischen Kriege. Spielbergs Alien wollte einfach nur «nach Hause telefonieren». KEYSTONE/RUE DES ARCHIVES/DILTZ

Das Zeitalter der Megaproduktionen

Mitte des Jahrzehnts setzte ein Gegentrend ein und ein Teil des Genres verschmolz mit Filmen wie «The Terminator» (1984), «Robocop» (1987) oder «Predator» (1987) immer mehr mit dem Actionfilm.

Diese Kombination wurde in den 1990er-Jahren dann zum kommerziellen und tricktechnischen Schrittmacher der gesamten Industrie. «Total Recall» (1990) und «Terminator 2: Judgement Day» (1991) – beide mit Arnold Schwarzenegger – oder «Jurassic Park» (1993) machten nicht nur durch immer gigantischere Budgets von sich reden, sondern beeindruckten auch durch neue, nie gesehene Bilder.

Dabei wurde Ende des Jahrhunderts insbesondere die digitale Tricktechnik zu einem zentralen Element der Filme.

Bestand die Strategie Hollywoods früher darin, die Investitionen breit über verhältnismässig viele mittelgrosse Filme zu streuen, konzentrierte man sich nun auf immer weniger und immer gigantischere Produktionen.

Dieses in den 1990er-Jahren erfolgreich erprobte Muster wurde im neuen Jahrtausend noch durch eine entscheidende Komponente ergänzt: das Franchising.

Vom Filmstudio zum Konzern

Die einst stolzen Studios sind mittlerweile im Besitz grosser Medienkonzerne und somit weniger an einzelnen Filmen interessiert als an Inhalten, die sich über möglichst viele mediale Kanäle verwerten lassen.

Die Kinoeintritte machen dabei nur noch einen Bruchteil der Einnahmen aus. Der mit grossem Medienaufwand zelebrierte Kinostart dient primär als Auftakt für den Verkauf von Comics, begleitenden Fernsehserien, Büchern, Actionfiguren, Videospielen und späteren Special Editions auf Blu-ray.

Diese Verwertungsstrategie führt dazu, dass die Science-Fiction-Grossproduktionen der vergangenen 15 Jahre mit wenigen Ausnahmen alles Remakes und Fortsetzungen – respektive Prequels – bestehender Filme waren oder aber Umsetzungen erfolgreicher Stoffe, die aus anderen Medien stammen. «Prometheus» (2012), «Alien: Covenant» (2017), «Blade Runner 2049» (2017) oder die wieder aufgelegte «Planet der Affen»-Serie wären hierfür einige Beispiele.

Eine perfekt geölte Maschinerie

Sequels sind nichts Neues. Im traditionellen Modell wurde ein Film aber als mehr oder weniger abgeschlossene Einheit konzipiert, auf die bei entsprechendem Erfolg eine Fortsetzung folgen konnte.

Die heutigen Grossproduktionen werden dagegen von Anfang als Franchises entworfen, bei denen das Finale des einen Blockbusters bereits auf den nächsten Film verweist – eine Strategie, die Marvel mit dem «Marvel Cinematic Universe» perfektioniert hat.

So gelungen viele Marvel-Filme sind, ein bisschen langweilt die zunehmende Monokultur. Wirklich neue Ideen sind in Hollywood rar, letztlich sind die Studios gar nicht an ihnen interessiert – das finanzielle Risiko ist zu gross.

Umso wichtiger sind Anlässe wie das NIFFF, die zeigen, was Science Fiction und Co. jenseits von Mega-Franchises zu bieten haben.

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