Weltwirtschaftskrise, Alkoholverbot, Gangsterkriege – die amerikanische Gesellschaft war in der frühen 30er-Jahren tief verunsichert. Moralvorstellungen und Rollenbilder wurden hinterfragt. Zynismus entwickelte sich zur Lebensphilosophie. Gleichzeitig brauchten die Hollywood-Studios Geld.
Die gerade vollzogene Umstellung auf den Ton-Film hatte gewaltige Summen verschlungen. Mehr Kunden mussten trotz Rezession in die Kinos geködert werden. In dieser Stimmung entstanden in Hollywood Filme, die Tabus brachen. Sex, Drogenmissbrauch, Gewalt wurden in ungewöhnlich offener Form gezeigt. Zensoren liefen Sturm gegen diese Filme. Zunächst vergeblich. Trotz Richtlinien.
Zehn Gebote für Hollywood
Seit 1930 gab es die Richtlinien für die Herstellung von Kinofilmen. Der katholische Zeitungsherausgeber Martin Quigley und der Jesuitenpriester Daniel A. Lord hatten sie verfasst. Sie wollten Sitte und Anstand in die Filme bringen. Ihr Ziel: so was wie die Zehn Gebote für Hollywood zu verfassen. Dementsprechend herrschte ein streng religiöser Geist.
Gotteslästerungen waren verboten. Die Ehe war heilig und durfte nicht in Frage gestellt werden. Sünder durften keine Sympathieträger sein. Das hiess konkret: Ehebruch sollte nicht gezeigt werden. Homosexualität galt als sexuelle Perversion. Die Darstellung von Verbrechen sollte dem Zuschauer erspart bleiben. Was in Zeiten der Prohibition bedeutete, dass schon der Kauf eines Biers nicht dargestellt werden durfte.
Freiwillige Selbstkontrolle
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Es gab also viele Richtlinien, die die Filmstudios offiziell akzeptiert hatten. Nur hielt sich keiner dran. Denn es gab keine zentrale Behörde, die für die Einhaltung der Richtlinien sorgte – zum Glück für die Filmschaffenden. Jeder Bundesstaat, jede grössere Stadt besass eigene Regeln, eigene Moralhüter mit individuellen Ansichten. Manchmal setzten sie sich durch, manchmal nicht. Das führte dazu, dass zeitgleich drei oder vier Schnittfassungen desselben Films in den USA gezeigt wurden.
Aber der Protest religiöser Gruppen gegen die Pre-Code-Filme wuchs. Als die Gefahr bestand, dass die Bundesregierung eingreifen würde, knickten die Hollywood-Bosse ein. Die Moralhüter triumphierten. Am 13. Juni 1934 wurde die Production Code Administration gegründet. Diese nichtstaatliche Behörde setzte den Hays-Code, benannt nach Hollywoods Chef-Zensor Will H. Hays, durch. Die Richtlinien galten bis 1967.
Vergessene Meisterwerke
Die Durchsetzung des Codes ab 1934 hatte Folgen für die vorher entstandenen Filme. Weil diese nicht Code-konform waren, gab es meistens keine Wiederaufführung im Kino, was in den 30er- und 40er-Jahren eigentlich üblich war. Aus dem gleichen Grund klappte es in den 50er-Jahren auch nicht mit dem Sprung ins Fernsehen. Deshalb blieben nur wenige Pre-Code-Werke in Erinnerung: Die Gangster-Filme mit James Cagney und Edward G. Robertson wie «Public Enemy» oder «Little Cesar», die frühen Dracula- und Frankenstein-Verfilmungen und natürlich «King Kong».
In den letzten Jahren haben die Studios nun ihre Giftschränke geöffnet und brachten die Schätze der Pre-Code-Zeit als DVD-Editionen auf den Markt. Was man dabei entdeckt, sind ungeschliffene, noch heute provozierende Leinwand-Diamanten mit Hollywood-Stars wie Barbara Stanwyck, Clark Gable oder Jean Harlow. Es sind Filme, die die gesellschaftlichen und moralischen Grundsätze ihrer Zeit in Frage stellen und die Anti-Helden des New Hollywood vorwegnehmen. Es sind Filme, die einfach Spass machen. Auch wenn man kein Cineast oder Filmhistoriker ist.