«Das Problem der Schauspieler ist, dass sie mit der Zeit zu Institutionen werden. Man weiss, dass sie Talent haben, wie sie funktionieren, wie sie anerkannt, geliebt, geschätzt werden. Vor all diesen Dingen nehme ich mich sehr in Acht. Ich will nicht die Kirsche auf der Torte sein. Ich will nicht dieses Extra-Ding sein, dem nichts mehr passieren kann. Ich will das Gefühl haben, dass mir noch etwas passieren kann. Etwas Gutes oder etwas Schlechtes.»
Eine Institution des europäischen Kinos
Obige Zeilen stammen von Catherine Deneuve, und sie haben etwas sehr Rührendes. Denn natürlich ist sie eine Institution. Eine Institution des europäischen Kinos, die Grande Dame des französischen Films.
Ihr Name ist Synonym für Stil und Eleganz und steht für die Ära des genialischen französischen Modeschöpfers Yves Saint Laurent. Deneuve kann nicht genannt werden, ohne im gleichen Atemzug die grossen europäischen Filmautoren zu erwähnen: Demy, Truffaut, Buñuel, Polanski.
Wenn man sich ihre Filme ansieht, hat man den Eindruck, dass sie vor der Kamera gar nichts machen muss, ausser gucken. Dieser tiefe Blick, von dem ich Augenwasser bekomme, wenn ich nur daran denke. Catherine Deneuve ist keine Charakterdarstellerin, sie ist immer Catherine Deneuve, diese schöne, rätselhafte Blonde. Unnahbar, irgendwie nicht von dieser Welt.
Das Wort «Image» klingt viel zu profan und zu verbraucht, um das Bild, das wir von ihr haben, zu benennen. Von dem sie selber sagt: «Es erstaunt mich immer wieder, dass es den Filmen über die Jahre nicht gelungen ist, dieses makellose Bild zu widerlegen.»
Freigeist Deneuve
Nun mag diese makellose Institution, der Freigeist Deneuve, nicht Kirsche auf der Torte sein. Diesem Umstand sowie ihrem Bedürfnis nach Risiko und Unabwägbarkeiten ist es wohl zu verdanken, dass sich die Jubilarin zum 70. Geburtstag in der ganz und gar bodenständigen Rolle der Bettie im Film «Elle s'en va» von Emmanuelle Bercot präsentiert. Überdies ein Film einer Frau, wo es doch schwierig ist, über Catherine Deneuve zu sprechen, ohne die Männer in ihrem Leben zu erwähnen.
Bettie ist Wirtin, ihr Restaurant chronisch unrentabel. Ihr Ehemann ist unwürdig an einem Pouletknochen erstickt, und ihr Geliebter hat sie für eine Jüngere sitzen lassen. Sie wohnt mit der Mutter in ihrem Geburtshaus. Eines Tages kommt es zu dem von Udo Jürgens einst so schön besungenen Gang nach Zigaretten: Bettie steigt in ihr Auto und fährt ihrem alten Leben davon (in einer wunderbaren Sequenz, untermalt von Jürgens-Kollege Rufus Wainwright). Während einem – etwas heterogen erzählten – Road Trip findet sie ihr Neues.
Eben noch Miss Bretagne, jetzt altes Eisen
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Während zahlreicher Begegnungen mit fremden Menschen auf ihrer Reise zu sich selbst gelingt Deneuve das Paradox, ihr Image sowohl zu demontieren als auch zu zementieren. Während ihr Gesicht so wunderschön wie eh und je ist, offenbart die Kamera andernorts kleine Risse, die 70 Lebensjahre in die Makellosigkeit der Leinwanddiva gerissen haben.
Deneuves Gang ist nicht mehr so behände wie als 20-Jährige in «Die Regenschirme von Cherbourg». Ihre Schultern sind breit geworden, die Hände alt. Die Figur Bettie scheint vom Gang der Zeit überrumpelt. Eben war sie noch Miss Bretagne, jetzt gehört sie zum alten Eisen. In einer Szene kommt sie sprichwörtlich vom Regen in die Traufe. Ein Nachtwächter gewährt ihr Unterschlupf in dem Möbelhaus, das er bewacht. «Ausverkauf» heisst es da in grossen Lettern über dem Geschäft.
«Ich arbeite nicht für die Nachwelt»
Die kurze Szene, in der sie pudelnass auf der Ausschussware sitzt, dem Mann versucht, die Patsche zu schildern, in der sie sitzt und mit einem herzhaften Lachen in der Tragik plötzlich die Komik sieht, ist eine der schönsten. Wie so oft im Film blitzt sie hier auf: Die unbedingte Schönheit und Kraft der Catherine Deneuve. Innert Sekundenbruchteilen ist sie wieder die makellose Sphinx, die Unberührbare, der all die Jahre nichts anhaben können. Weshalb Catherine Deneuve, auch wenn sie die Kamera uneitel auf ihre Risse blicken lässt, nie wirklich Bettie sein kann. Sie ist die «Institution Deneuve», auch wenn sie sich davon in ihrer Rollenwahl nie hat einengen lassen.
«Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine Spur hinterlassen will», sagte sie 2010 im Interview mit der Filmemacherin Anne Andreu. «Ich bin mir der Vergänglichkeit völlig bewusst und nicht sicher, ob ich nach dem Tod weiterexistieren will. Ich arbeite wirklich überhaupt nicht für die Nachwelt. Ich fühle mich wie eine Durchreisende, und ich habe nicht das Gefühl, mehr geprägt zu haben als ich musste. Das steht den Leuten zu, die wirklich ein Werk schaffen. Ich habe nicht das Gefühl, eines geschaffen zu haben. Ich habe das Gefühl, teilgenommen zu haben, das ist alles. Ich war da und habe ein bisschen was geprägt. Voilà.»