«Cure – The Life of Another»: Bereits der Filmtitel hat mehr als zwei Seiten. Für Teenagerin Linda, die im Sommer 1993 mit ihrem Vater aus Zürich nach Dubrovnik in dessen kroatische Heimat gekommen ist, könnte die «cure», die Heilung, darin bestehen, dass sie ihre kroatischen Wurzeln findet.
Aber Linda und ihre neue kroatische Freundin Eta sind selber «cure», auf Kroatisch «Mädchen». Und schliesslich wird Linda sogar Eta sein, zumindest für deren Grossmutter, nach Etas Tod. Und den wiederum hat, vielleicht, Linda verschuldet.
Erinnerungen an «Das Fräulein»
Acht Jahre, nachdem Andrea Štaka in Locarno mit dem Film «Das Fräulein» den Goldenen Leoparden gewonnen hat, webt sie nun weiter an ihrem immer auch autobiografisch geprägten Film-Stoff. Die Geschichte von «Cure» hat nichts mit dem «Fräulein» zu tun und nimmt doch überall die Fäden wieder auf.
Štakas eigener Vater stammt aus Dubrovnik; der Blick auf die Stadt vom Berg herab gleicht jenem auf Zürich im «Fräulein» – ein Film, der wiederum vom Blick auf Sarajevo geprägt war. Mirjana Karanović spielte damals das titelgebende Fräulein, eine Exil-Serbin in Zürich. Dieses Mal ist sie die Grossmutter von Eta. Und Marija Škaričić, die junge Frau aus dem letzten Film, ist die Mutter.
Ein Film wie ein Netz aus Goldfäden
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Und schliesslich sieht die junge Hauptdarstellerin Sylvie Marinkovic aus, wie man sich Andrea Štaka in diesem Alter vorstellen würde. Auf dem zur Produktion veröffentlichten Pressebild trägt Andrea Štaka sogar die Ohrringe, welche sich Linda und Eta im Film teilen.
Das alles sind Binnenspuren, Goldfäden, welche die Regisseurin in ihre Arbeit flicht, und damit vielleicht auch uns allzu eifrige Beobachter in ihr ganz eigenes Spinnennetz holt. Aber diese Detailarbeit ist es letztlich, welche «Cure» zu einem faszinierenden filmischen Kunst-Stück macht.
Eine Legende wird Realität
Eigentlich spinnt Štaka bloss eine kleine Geschichte aus, welche man sich in Dubrovnik angeblich erzählt. Jene der beiden Mädchen, die gemeinsam einen Spaziergang machten, von dem aber nur eine wieder zurückkehrte. Die Filmgeschichte hat damit schon hin und wieder gespielt, und Andrea Štaka baut das Echo von «Picnic at Hanging Rock» oder «Vertigo» mit leichter Hand ein.
Linda aus Zürich bekommt in Dubrovnik schneller und radikaler eine lokale Identität, als es sich das Mädchen je hätte träumen lassen. Nach einem wilden Rennen durch angeblich minenverseuchtes Hügelgelände stehen sie und Eta am Abhang über den Klippen. Ein kleiner Streit über das behauptete Ausmass sexueller Erfahrungen führt zu gegenseitigem Schubsen. Und dann ist nur noch Linda da.
Wobei: Eta bleibt bei Linda. Immer wieder spricht sie sie direkt an, verlangt von ihr, dass sie ihr das Tagebuch zurückgebe, bevor es die Grossmutter findet, fordert sie heraus, erinnert sie daran, dass sie eigentlich gehofft hatte, mit Lindas Hilfe endlich aus Dubrovnik fortzukommen.
Der Bosnien-Krieg hinter der kroatischen Grenze
Und wenn die Grossmutter, welche schon ihren Sohn im Krieg verloren hat, Linda einfach als Eta behandelt, dann wird nie ganz klar, ob bewusst und zur Strafe, oder unbewusst und aus Selbstschutz. Das ist nie gespenstisch oder fiebrig oder auch nur erschreckend wie in vergleichbaren Coming-of-Age- und Identitätsentwicklungsfilmen, sondern mit einer grossartigen Selbstverständlichkeit inszeniert.
Alles ist wahr und alles ist auch anders und richtig und falsch zugleich für Linda. Es gibt den Bosnien-Krieg, wenige Kilometer weiter hinter der kroatischen Grenze. Es gibt Ivo, den jungen Mann, auf den Eta sauer war und von dem sie träumte. Ivo, der angeblich im Krieg getötet hatte und nun auch Linda herausfordert.
Märchenhafte Kunstgriffe
Orte können ihre Bedeutung wechseln in diesem Film, manchmal simpel, manchmal märchenhaft verspielt. Zum Beispiel wenn Linda in Etas Kleiderschrank eine Tür findet, die nicht etwa in ein Geheimversteck führt, sondern direkt ins Zimmer der Mutter.
Es gibt Blickwechsel und Grossaufnahmen von Gesichtern mit kaum wahrnehmbarem Lächeln, und es gibt diese Szenen vor dem Fernseher, in denen Linda die Rolle von Eta übernimmt und der Grossmutter die Untertitel vorliest. Bis Eta plötzlich auch auf dem Sofa sitzt und beide Mädchen im Chor vorlesen.
Kein falscher Ton, kein flaches Bild
«Cure – The Life of Another» ist kunstfertig natürlich, raffiniert geschichtet und bestechend einfach aufgebaut. Man erkennt die sorgfältige Arbeit auf jeder Ebene: Vom Buch, an dem Andrea Štakas Lebens- und Produktionspartner Thomas Imbach und Marie Kreutzer mitgeschrieben haben, bis zu allen anderen Departementen. Absolut herausragend sind Musik und Sound-Design. Aber auch sonst gibt es im ganzen Film keinen falschen Ton, kein flaches Bild, keinen unnötigen, unverwebten Moment.