Pierre Brice. Ein Mann. Eine Rolle. Und was für eine. Seine Schmallippigkeit wurde sein Markenzeichen. Viel geredet hat er nie, zumindest in seinen Rollen nicht. Der Bretone Brice verkörperte einen Indianerhäuptling, den Häuptling schlechthin: Winnetou.
Schauspieler und Rolle verschmolzen derart, dass er sie Zeit seines Lebens nie mehr so richtig los wurde. Sie wurde Fluch und Segen zugleich. Brice galt vielen als kein sonderlich virtuoser Schauspieler. Da er sich in frühen Jahren als Modell durchgeschlagen hat, wurde er zu Beginn seiner Karriere als sprechender Kleiderbügel unterschätzt. Dass das einerseits mit einer gewissen persönlichen Scheu zu tun hatte aber nichts mit seinem schauspielerischen Talent, blieb lange verborgen. Seine Karriere tat ihr Übriges. Winnetou war genau dieser stoische Charakter, Sprechen der Ausnahmezustand.
«Howgh! Bruder. Frieden.»
Lange Blicke seiner grünen Augen auf den Horizont, diese coole Bewegung, mit der er mit dem ausgestreckten Arm und der Hand über den Horizont strich, als wolle er die ganze Welt besänftigen, das war Winnetou. Kein Geschwafel sondern der Hang zur ganz grossen Geste. Die Ruhe, die Gelassenheit, wenn ihn der Wind umstrich und seine Augen heller schienen als die Sonne.
Seine Begrüssungsgeste wurde Kult: Wenn er mit der rechten waffenlosen offenen Hand einen Kreis beschrieb und nur sagte: «Howgh! Bruder. Frieden.»
Und zuhause vor den ersten Fernsehgeräten nickten alle in kurzen Hosen, nachdem schon zehn Millionen im Kino geheult hatten, wie Schlosshunde, sie verdrückten am Ende des «Silbersees» eine Träne im Knopfloch, rannten hinaus mit Indianergeheul über verregnete Strassen, stellten sich auf den Misthaufen oder die nächste Tolle, wähnten sich im staubigen Westen und streckten den Arm aus gen Horizont und wurden auf einmal innerlich ganz ruhig und weit. Auch die Mädels waren hin und weg, wegen ihm und wegen Nscho-tschi.
Winnetou und Ché Guevara
Kinderzimmer wurden umgerüstet, der Bravo «Starschnitt» hing an vielen Wänden und wurde erst vom Ché Guevara Poster abgelöst. Pierre Brice ist ein Teil der 60er- und 70er-Jahre. Das Wort «Männerfreundschaft» verlor seinen dumpfen militanten Klang, ab Winnetou kämpften Männer für Frieden, zumindest wenn man damals sechs Jahre alt war. Männer wurden Blutsbrüder. In wohl jeder Biografie erinnert man sich an die Standpauke eines Elternteils, das bloss sein zu lassen, sich mit einem Messer in den Unterarm zu schneiden.
Die Rolle seines Lebens aber kein Leben für die Rolle
Pierre Brice sah einfach zu gut aus – Zeit seines Lebens. Und er alterte auch noch derart stylisch, dass er in frühen Jahren allen Jungs zur Kultfigur reichte und in fortgeschrittenem Alter alle reiferen Damen an verwegene Zeiten zurückdenken liess. Als man ihn im Film sterben liess, löste das eine derartige Protestwelle aus, dass Fortsetzungen her mussten. Winnetou blieb die Rolle seines Lebens, egal ob im Film oder auf der Bühne, die spielte er auf verschiedenen Freilichtbühnen erst in Elspe, nachher in Bad Segeberg, fast bis in die 90er-Jahre, anfänglich noch mit deutlich hörbarem französischen Akzent, am Schluss sprach der Apache ein gepflegtes Norddeutsch.
Pierre Brice war wohl ein stiller Mensch, wandelte als wortkarge Rothaut durch die Zeit und kaum etwas erzählt davon, dass er als Pubertierender bei der Résistance war, Bretonen aus Lebensgefahr rettete. Zeit seines Lebens hielt er sozial und politisch mit seinem Engagement nicht hinter dem Berg, egal ob er sich für den Tierschutz einsetzte, als UNESCO-Botschafter auftrat oder bei «Wetten dass...» für ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Land sammelte. Pierre Brice hatte auch diese Seite. Ein paar bessere Filme hätte man ihm gewünscht. Er spielte auch Seichtes in Serien, Boulevard auf Tourneebühnen. Egal. Da ist genug, was bleibt, mehr als genug. Jetzt ist er tot, nein, er ist in den ewigen Jagdgründe: «Howgh, Bruder, Frieden!»
Sendung: SRF 4 News, 6.6.2015; 12:00 Uhr.