SRF Kultur: Sie haben über Jahre an der Restaurierung des Films «Das kalte Herz» gearbeitet, der nun diesen Sonntag Weltpremiere feiert – mehr als 80 Jahre nach Drehschluss. Wie kam es dazu?
Raffi Fluri: Ich sollte zum 100. Geburtstag von Franz Schnyder 2010 eine Ausstellung über sein Leben und Werk organisieren. In seinem Nachlass in Bern bin ich auf eine VHS-Kassette gestossen, die nicht beschriftet war. Darauf waren Kurzfilme zu sehen – ich vermutete, es seien Probeaufnahmen aus Franz Schnyders Theaterzeit.
In diesen Aufnahmen waren allerdings auch Zwischentitel zu sehen. Ich habe herausgefunden, dass es sich um Passagen aus einem Märchen handeln musste: «Das kalte Herz». Als ich die Ausschnitte zusammengefügte und ordnete, merkte ich: Das müssen Szenen eines kompletten Films gewesen sein. Und so begann die Suche nach dem übrigen Material.
Die Suche hat Sie von Bern nach Berlin geführt. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wenn mich etwas packt, dann lässt es mich nicht mehr los. Auch hier hat es mir den Ärmel reingezogen: Diese Detektivarbeit und Fährtensuche haben mich sehr begeistert. Ich konnte eruieren, dass das Filmmaterial aus den Anfängen der 1930er-Jahre stammen musste. Aber es gab keine Verfilmung von «Das kalte Herz» aus dieser Zeit, bloss eine aus den 1910er-Jahren und eine DDR-Verfilmung aus den 1950ern.
Also habe ich überall nach weiteren Filmrollen gefragt: Bei Filmwissenschaftlern, der Cinémathèque Suisse und bei Personen, die Franz Schnyder kannten. Niemand wusste etwas davon – es sah alles danach aus, dass die Filmspulen verloren gegangen waren oder weggeworfen wurden, etwa bei der Hausräumung von Franz Schnyder.
Sie sind den Filmrollen später dennoch auf die Spur gekommen. Ein Zufall?
Ja, nur per Zufall habe ich einige Jahre später den Link gemacht zur «Schnabel Music Foundation». Und herausgefunden, dass es sich nicht um einen Film von Franz Schnyder handelte, sondern von einem bekannten Musiker: Karl Ulrich Schnabel.
Aus Langeweile habe ich damals noch einmal «Schnyder, Kaltes Herz» bei Google eingetippt. Das führte mich zu einem Foto von Schnyder und Schnabel. Wahrscheinlich hätte ich das Bild schon früher gefunden, wenn ich nicht immer nach «Franz Schnyder» gesucht hätte: Denn in der Bildlegende stand nur «F. Schnyder».
Dieser Puzzlestein hat dazu geführt, dass Sie schlussendlich die fehlenden Filmrollen in Schnabels Nachlass in Berlin auffinden konnten. Ging die Arbeit mit der Restaurierung dieses Materials erst richtig los?
Das kann man so sagen. «Das kalte Herz» ist kein herkömmliches Restaurierungsprojekt, wie bei einem Film, den es bereits in einer verfügbaren Fassung gibt. Sondern es handelte sich um viele einzelne Filmrollen mit noch mehr Material. Wir haben eine Fassung gefunden, die physikalisch in einem sehr guten Zustand war.
Aber sie war – wahrscheinlich auf Druck der damaligen Zensurbehörde – so stark gekürzt, dass die Geschichte nicht mehr nachvollziehbar war. Zudem waren Filmrollen vertauscht, zwei Filmbänder für Spezialeffekte einfach aufeinandergeklebt worden und ein Teil der Bänder so spröde, dass man sie chemisch behandelt musste. Das hat bei der Digitalisierung viel Arbeit verursach.
Nicht nur die Geschichte des Films mussten Sie rekonstruieren: Eine wichtige Entscheidung war es, dem Stummfilm eine Tonspur hinzuzufügen. Wie kam es dazu?
Das hat mich überrascht und lange beschäftigt: Karl Ulrich Schnabel hatte jede Kleinigkeit protokolliert. Aber ich fand nirgends eine Notiz, wie der Film gezeigt werden sollte: Mit einer Musikspur oder sogar synchronisiert – auch das war damals bereits möglich. Wir vermuten, dass es für Schnabel als begnadeten Musiker selbstverständlich war.
Für uns war es eine Herausforderung einen Ton zu schaffen, der einem berühmten Musiker gerecht wird. Hier konnten wir mit Robert Israel einen sehr guten Komponisten gewinnen: Ein Glücksfall.
Franz Schnyder ist in «Das kalte Herz» ein Darsteller. Was war bei der Arbeit an dem Filmmaterial Ihr Bezug zu ihm?
Ich habe Franz Schnyder in diesem Film als jungen Mann erlebt – und kann das mit dem Image, dass wir heute von ihm haben, nicht zusammenbringen. Genau dieser Wandel und diese unerforschten Abschnitte seines Lebens faszinieren mich.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 1.7.2016, 17:22 Uhr