Seit «Der Medicus» von Noah Gordon in den 80er-Jahren die deutschsprachigen Bestseller-Listen stürmte, wurde über eine Verfilmung des Romans nachgedacht. «25 Jahre lang wurde der Stoff unter Produzenten und Regisseuren herumgereicht. Ich war nur der letzte in einer langen Reihe von Leuten, an die das Vorhaben herangetragen wurde», sagt der deutsche Regisseur Philipp Stölzl im Interview.
Eine europäische Grossproduktion
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Dass die Leinwandfassung erst jetzt zustande gekommen ist, hat mehrere Gründe: Der 850-seitige Roman, dessen epische Handlung sich über Jahrzehnte erstreckt, und der von London über das mittelalterliche Europa bis ins Morgenland führt, konnte nicht für einen Pappenstiel gedreht werden. Er bedingte eine komplexe, internationale Zusammenarbeit, diverse Anläufe scheiterten. Letztlich gab Gordon einer deutschen Produktionsfirma den Zuschlag, und diese gestaltete den Film als eine europäische Grossproduktion mit internationalem, mehrheitlich britischem Cast – aber ohne italienische oder französische Gelder. Wohl allein der Übersicht wegen.
Täuschend echte Studioaufnahmen
«Als ich zum Projekt stiess, existierte noch ein anderes Drehbuch, und der Film war rund zehn Millionen Euro zu teuer», erinnert sich Philipp Stölzl. «Es wird zwar selten wahrgenommen, aber ein Teil der Regiearbeit ist es auch, ökonomische Drehbedingungen festzulegen – etwa, welche Szenen man vor Ort filmt, was man im Studio nachbaut, und wo man auf Tricktechnik setzt.»
Tatsächlich entstand der Grossteil des «Medicus»-Films in deutschen Studios, mit einigen exotischen Aussenaufnahmen in Marokko. Philipp Stölzl hat bereits mit seinem Bergsteigerdrama «Nordwand» bewiesen, dass er sich bestens darauf versteht, Studioaufnahmen täuschend echt wirken zu lassen, und das ist ihm und seinen Technikern auch in diesem Fall gelungen.
Anspruch und Vielfalt
«Der Medicus» ist sicher kein perfekter Film: Auf die 150 Minuten Spielzeit verteilt finden sich Längen. Und die Theatralik der Nebendarsteller in ihren exotischen Kostümen rückt einige dramatisch gestaltete Szenen in die Nähe des unfreiwilligen Humors. Zudem wirkt dann doch nicht alles ganz so episch auf der Leinwand, wie es intendiert war.
Aber insgesamt dürfen die Macher stolz sein auf ihren Film: Sie haben bei allen heroischen Abenteuersequenzen auch zahlreiche wichtige Punkte zu den Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam im Drehbuch stehen lassen können. Ihr Film gibt einen glaubwürdigen Einblick in die Sternstunden der frühen Medizin, als Knochensägen und Aberglaube stückweise durch anatomische und pharmazeutische Gewissheiten abgelöst wurden. Zudem erlebt der junge Held, der Medicus Rob Cole, eine glaubwürdige Coming-of-Age-Geschichte.
Ob ein thematisch derart anspruchsvoller und vielfältiger Film in Hollywood zustande gekommen wäre, darf man bezweifeln. Dass er überhaupt jenseits von Hollywood entstehen konnte, ist erfreulich. Und dass er zudem stilistisch einheitlich wirkt, was europäischen Koproduktionen oft abgeht, verdient eine lobende Erwähnung.