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Film & Serien Doris Dörrie: «Wenn man hilft, bekommt man immer etwas»

Wie überlebt man Katastrophen? In Doris Dörries Spielfilm «Grüsse aus Fukushima» müssen zwei ganz unterschiedliche Frauen lernen, sich von ihren Schuldgefühlen und der Last ihrer Erinnerungen zu befreien. Die deutsche Regisseurin über Hoffnungsschimmer in der verstrahlten Sperrzone.

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Warum haben Sie diese Geschichte in der verstrahlten Sperrzone von Fukushima angesiedelt?

Doris Dörrie

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Eine blonde Frau mit Brille in der Natur.
Legende: Filmcoopi

Die Deutsche zog es nach einem Theater- und Schauspielstudium in den USA hinter die Kamera. Der ganz grosse Durchbruch gelang ihr mit «Männer» (1985). «Grüsse aus Fukushima» ist der zweite Film nach «Kirschblüten» (2008), der in Japan spielt. Doris Dörrie hat sich auch als Schriftstellerin einen Namen gemacht und inszeniert auch Opern.

Ich bin ein halbes Jahr nach der Katastrophe in Fukushima gewesen, und das hat mich schon sehr ergriffen. Wie es den Leuten ging, den Evakuierten, die jetzt immer noch in den Notunterkünften leben. Diese komplette Verwüstung hat mich auch an Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert hat, wo jeder Stein umgedreht wurde, nichts mehr da war, und die Biografien einen ganz klaren Schnitt erlebt haben.

Das wollte ich erzählen, an einem Ort, an dem man spürt: Das ist jetzt der wirkliche Ort mit den wirklichen Menschen, keine im Studio nachgebaute Kulisse. Ich wollte den Menschen auch ins Gesicht schauen und ihnen eine Plattform geben. Sie sollten von der Leinwand zurückschauen können. Es war mir sehr wichtig, nicht in eine ausgedachte, künstliche Welt zu driften, die diese Katastrophe nur als Hintergrund benutzt. Ich wollte, dass sie ein Mitspieler ist.

Was fasziniert sie an der japanischen Lebensart oder Mentalität?

Was mich an den Japanern immer wieder überrascht und fasziniert, ist ihre grosse Aufmerksamkeit für den Anderen. Dass sie immer erst von sich absehen und schauen: Was braucht der Andere, was fehlt ihm? Ich finde das auch angenehm, weil es eine grosse Zärtlichkeit beinhaltet. Aber es hat auch eine ziemlich brutale Kehrseite für die Japaner: Es bedeutet, dass man niemals von sich selber reden kann. Man darf nicht über das eigene Leiden berichten.

Ihre beiden Protagonistinnen sind in einer Art Selbstisolation gefangen, niedergedrückt durch Gefühle von Schuld und Versagen.

Die Vergangenheit macht uns sehr schnell zu Opfern. Sie birgt natürlich auch schöne Erinnerungen – hoffentlich. Aber sie macht uns trotzdem immer wieder zu Gefangenen. Und da wieder in eine Gegenwart zu finden, die einen auch leichtfüssig werden lässt, das ist der Weg, den diese beiden Frauen gehen.

Und tatsächlich finden sie miteinander eine andere Art, sich in dieser Gegenwart wieder leichter zu machen. Das ist der Hoffnungsschimmer und auch der Trost am Ende des Films, dass das möglich ist, und auch in grossem Schmerz möglich ist. Tja, das kann man von dieser japanischen Art lernen, die Gegenwart zu betrachten.

Warum bringen Sie dieser Geschichte die politische Dimension dieser Katastrophe nicht ein?

Das ist kein politischer Dokumentarfilm. Ich wollte eine Geschichte drehen, die universeller ist, die sich um Verlust dreht. Ich zeige ein grosses Stück Realität, ich zeige das Leben, wie es nach einer Katastrophe wie der von Fukushima aussieht.

Ich zeige aber auch einen Film, in dem es primär um zwei Frauen geht. Wobei mir erst später aufgefallen ist, dass es das im Spielfilm als Genre überhaupt nicht gibt: die Meisterin und die Schülerin. Im Gegensatz zu Meister und Schüler – da gibt es jede Menge. Ich zeige an diesen beiden Frauen, wie man mit so etwas umgeht. Und das ist für mich hochpolitisch.

«Grüsse aus Fukushima»

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Marie flieht vor dem Verlust ihrer grossen Liebe nach Japan, um Überlebenden der Atomkatastrophe in Fukushima zu helfen. Doch die junge Deutsche bleibt in ihrer Trauer und Verzweiflung gefangen. Erst bei einer eigensinnigen alten Geisha, die ihr zerstörtes Heim in der Sperrzone wiederaufbaut, findet sie neue Orientierung.

Marie, die junge Deutsche, scheint am sogenannten Helfersyndrom zu leiden, will helfen, um sich von ihrer eigenen Hilflosigkeit abzulenken.

Mir sind Menschen mit Helfersyndrom erst mal lieber als Menschen, die überhaupt nicht helfen wollen. Da ist es mir eigentlich wurscht, aus was für Gründen die helfen. Wenn man hilft, bekommt man immer etwas. Das ist eine ganz simple Wahrheit, ich weiss nicht, warum wir sie so stark vergessen.

Aber helfen macht sehr viel glücklicher als nicht helfen, das ist einfach so. Das haben wir ja erst gerade in München durch die Flüchtlinge erlebt, die in sehr grosser Zahl gekommen sind. Das war ja das grosse Erlebnis von besonders auch vielen jungen Leuten im letzten Sommer, dass Geben glücklich macht. Wir bekommen etwas, wenn wir geben.

Wir haben uns aber in unserer sehr nehmenden, also konsumierenden Welt angewöhnt, das vollkommen zu verdrängen und zu vergessen, dass es immer glücklicher macht zu geben. Uns das also wieder anzugewöhnen, nützt uns am Ende nur.

Kinostart: 24.03.2016

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