Die Grundkonstruktion dieses Films hat etwas von einer Metapher: 800 Bürger befinden sich in einem baufälligen Haus in Lebensgefahr und ahnen nichts. Währendessen versuchen die zuständigen Politiker und Ämter das alles zu vertuschen. Bestechung, Korruption, Selbstbereicherung, Mafiaverstrickungen – zu vieles käme ans Licht, würde das Gebäude ordnungsgemäss geräumt und seine Baufälligkeit untersucht. Stürzt es jedoch ein, könnte man einen verjährten Konstruktionsfehler geltend machen und die Sache vergessen.
Was ist heldenhaft?
Der moralisch integre Held im Zentrum der ganzen Geschichte heisst Dmitri. Der junge Klempner hat die bautechnischen Mängel bei einem Routineeinsatz festgestellt und deren Schwere erkannt. Seither rennt er durch die Nacht und mobilisiert alle Verantwortlichen.
Denn nach seinen Berechnungen vergehen ab jetzt nur noch Stunden bis zur Tragödie. Aber eben: Jeder ist sich selbst am nächsten. Und Dmitri muss sich gar fragen, ob er mit seiner Initiative zur Rettung von Menschenleben nicht am Ende seine eigene Existenz aufs Spiel setzt.
Der russische Filmtitel «Durak» bedeutet nicht «Held», sondern «Idiot». Der Titel widerspricht auf geschickte Weise der Vorstellung, die wir uns als westliche Zuschauer von Dmitri machen möchten. Der Mann entscheidet nach seinem Gewissen und gemäss seinem Gerechtigkeitssinn; er will eine Katastrophe abwenden und Leben retten. In unseren Augen ist das mutig und vorbildlich – ein Musterbeispiel von Zivilcourage.
Schwierige Entscheide
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Doch was ist – fragt uns der Film – wenn Dmitri stattdessen eine riesige Dummheit begeht? Was ist, wenn sein Vertrauen in die Obrigkeit einfach nur naiv ist, sein Glaube an das Funktionieren des Systems reine Verblendung? Was ist, wenn er mit seiner Aktion nicht nur wertvolle Zeit verschwendet, sondern dabei gar Geister auf den Plan ruft, die er später nicht mehr los wird? Ist der Ehrliche nur der Dumme, und am Schluss sterben so oder so alle?
Der Autor und Regisseur Juri Bykow stellt keine einfachen Fragen. Und er gibt keine einfachen Antworten. Zuerst einmal vermeidet er es, zwischen den sozialen Klassen eine klare moralische Grenze zu ziehen. Nein, es ist nicht so, dass alle «da oben» böse sind und geldgierig, und alle «da unten» einfach nur arm und unterdrückt. Natürlich sind gewisse Amtsinhaber korrupt – sie sässen sonst nicht in ihrem Amt. Natürlich sind viele Bewohner des bedrohten Blocks kriminell – denn anders liesse es sich in diesen Verhältnissen nicht leben.
Entweder aufrichtig oder klug
Bykow setzt manchmal auf schwarzen Humor. Schliesslich mangelt es nur schon seiner Ausgangslage nicht an Zynismus. Aber er vermeidet es dabei konsequent, das menschliche Wesen per se als verdorben oder verloren abzutun.
Was in dieser russischen Stadt nicht funktioniert, ist das herrschende System – weil es zur absurden Folge hat, dass die richtigsten Entscheide aller darin lebenden Menschen immer auch die verhängnisvollsten sind. Das kann man fatalistisch finden. Aber die Idee funktioniert hervorragend für einen Thriller, in dem sich alle Protagonisten zweimal fragen müssen, ob sie nun entweder aufrichtig oder klug handeln wollen.